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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Die Katastrophe <strong>als</strong> darstellerisch-ästhetisches Ereignis<br />

2 Das 18. Jahrhundert: Wandel in der <strong>Natur</strong>-Wahrnehmung?<br />

Das 18. Jahrhundert wird heute gerne <strong>als</strong> Schlüsselepoche begriffen, in welcher<br />

bestimmte Kulturmodelle der europäischen Zivilisationsgeschichte einen grundlegenden<br />

Wandel erfahren haben und in der Schweiz dem Philhelvetismus den Boden<br />

bereiteten. Die „Entdeckung“ der Alpen gilt mithin <strong>als</strong> literarisches Motiv, an<br />

dem sich dieser Wandel, wenn nicht gerade manifestierte, so doch nachzeichnen<br />

lässt. Lange Zeit galt Rousseau <strong>als</strong> der erste Gelehrte, der die <strong>Natur</strong> mittels Sprache<br />

ästhetisierte und das Fundament für eine Neubewertung der Landschaft und insbesondere<br />

der Gebirge legte. 8 Bemühungen um eine ästhetisierende Beschreibung<br />

der Alpen hatten jedoch bereits viel früher eingesetzt. 9 Denn die Alpen standen<br />

bereits seit mindestens dem 16. Jahrhundert im Interesse eines anfänglich noch<br />

kleinen Kreises von <strong>Natur</strong>forschern und Reisewilligen. 10 Die Gründe für dieses<br />

Alpeninteresse können etwa auf ein neu erwachtes Schweizer Selbstbewusstsein<br />

und eine Abgrenzung gegenüber anderen politischen Räumen zurückgeführt<br />

werden. 11 Obwohl sich für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ein leichter Rückgang<br />

der Anzahl Alpenreisen konstatieren lässt 12 und theologische Verdikte gleich<br />

reihenweise die gefahrvolle Gebirgsnatur heraufbeschwörten, indem sie die Landschaft<br />

<strong>als</strong> das Böse, Schreckliche und Sündhafte beschrieben, kamen Interessierte<br />

weiterhin in die Gebirgswelt der Alpen und priesen deren Schönheiten. Prominentestes<br />

Beispiel dafür ist vielleicht der englische Theologe und Diluvianist Thomas<br />

Burnet, der in seiner Sacred Theory of the Earth von 1681 die Welt <strong>als</strong> das Produkt<br />

eines mit dem Sündenfall einsetzenden Verfalls beschreibt. 13 Die Berge sind in<br />

dieser Konzeption hässlich und nutzlos, werden gar <strong>als</strong> Ruinen der Sintflut beschrieben,<br />

sie sind klägliche Überreste einer einst perfekten Welt. 14 Gleichzeitig<br />

wird bereits bei Burnet auch eine Faszination für die Berge spürbar. Seine Kom-<br />

8 Groh, R. / Groh, D.: Von den schrecklichen zu den erhabenen Bergen. Zur Entstehung ästhetischer <strong>Natur</strong>erfahrung,<br />

in: dies.: Weltbild und <strong>Natur</strong>aneignung. Zur Kulturgeschichte der <strong>Natur</strong>, Frankfurt am Main<br />

21996, S. 92–149, hier S. 108.<br />

9 Zur Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert vgl. sehr knapp Deuchler, F.: Kunstbetrieb, Disentis 1987,<br />

S. 57.<br />

10 Auch das Interesse an einer Ästhetisierung der Alpenlandschaft nahm ihren Ausgang nicht erst im<br />

18. Jahrhundert, vgl. Boehrlin-Brodbeck, Y: Die ‚Entdeckung‘ der Alpen in der Landschaftsmalerei des<br />

18. Jahrhunderts, in: Wunderlich, H. (Hg.): ‚Landschaft‘ und Landschaften im achtzehnten Jahrhundert,<br />

Heidelberg 1995, S. 253–270.<br />

11 Mathieu, J.: Alpenwahrnehmung: Probleme der historischen Periodisierung, in: ders. / Boscani Leoni, S.<br />

(Hg.): Die Alpen! Les Alpes! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance. Pour<br />

une histoire de la perception européenne depuis la Renaissance, Bern 2005, S. 58–62.<br />

12 Mathieu: Alpenwahrnehmung, S. 62–66.<br />

13 Burnet, T.: Telluris Theoria Sacra, or Sacred Theory of the Earth, London 1681.<br />

14 Vgl. u.a. Groh / Groh: Entstehung, S. 125–132; Dirlinger, H.: Das Buch der <strong>Natur</strong>. Der Einfluss der<br />

Physikotheologie auf das neuzeitliche <strong>Natur</strong>verständnis und die ästhetische Wahrnehmung von Wildnis, in: Weinzierl,<br />

M. (Hg.): Individualisierung, Rationalisierung, Säkularisierung. Neue Wege der Religionsgeschichte,<br />

Wien/München 1997, S. 156–185.<br />

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