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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Klaus Bergdolt<br />

hen vom Aderlass und bestimmten Diäten, welche das „heiße und feuchte“ Blut<br />

reduzieren sollten, empfahlen die Ärzte immer wieder auch Orts- bzw. Klimawechsel;<br />

die jeweils trockenere und kühlere Gegend galt im Zweifelsfall <strong>als</strong> gesünder<br />

und die Langlebigkeit fördernd. Leibesübungen, wie sie der Arzt Valescus von<br />

Taranta (gest. 1418) nahelegte, sollten über die erwünschte Schweißabsonderung<br />

die feuchte Hitze des Körpers vermindern. 35. Da warme Luft nach oben steigt,<br />

sollten Pestkranke „an einen hochgelegenen Ort im Zimmer gebracht werden,<br />

damit sie „über den Köpfen der Pfleger“ lagen. 36 Der Tübinger Arzt und Botaniker<br />

Leonhart Fuchs (gest. 1566) plädierte aus demselben Grund dafür, die Gymnastikräume<br />

zusätzlich durch Duftstoffe und Räucherung zu reinigen. Körperliche Anstrengungen<br />

inklusive des Geschlechtsverkehrs galten solchen Ärzten, da sie nach<br />

Galen die „innere Hitze“ förderten, <strong>als</strong> risikobehaftet. 37<br />

Man muss sich klar darüber sein, dass es bis zum 16. Jahrhundert, von vagen<br />

Spekulationen der römischen Autoren Varro (1. Jh. n. Chr.) und Columella<br />

(1. Jh. n. Chr.) über krankmachende animalia quaedam minuta (winzige Tierchen)<br />

bzw. bestiolae (kleine Tiere), die aus Sümpfen emporstiegen, abgesehen, keine eindeutigen<br />

Hinweise darauf gab, dass Mikroben die Pest hervorrufen könnten. 38<br />

Allerdings stellte zur Mitte des 16. Jahrhunderts der Paduaner Philosoph<br />

Bernardino Tomitano die Frage, wie es möglich sei, dass bei allgemeiner Luftverpestung,<br />

d. h. unter demselben miasmenreichen Himmel, eine Stadt von der Pest<br />

verschont bleibe, während eine benachbarte auf das grausamste heimgesucht werde.<br />

Dies war eine Kritik am gesamten hippokratischen System. 39 So logisch und<br />

berechtigt sie war, die meisten Ärzte und Medizinprofessoren negierten sie. Einige<br />

calvinistische Theologen sahen in der Tatsache, dass schwülen Wetterperioden oft<br />

keine Pest folgte und häufig Seuchen ausbrachen, ohne dass sie humoralpathologisch<br />

erklärbar schienen (etwa bei kühlem Wetter und klarem Himmel!), eine Bestätigung<br />

der Prädestinationslehre, dass Gott allein die Pest schicke, wobei er nicht auf die<br />

von den Ärzten herausgestellten „naturwissenschaftlichen“ Begleitumstände und<br />

Bedingungen angewiesen sei. 40<br />

Die scharfe Beobachtung Tomitanos musste dennoch beunruhigen. Nach der<br />

Theorie der aria corrotta hätten sich die Venezianer niem<strong>als</strong>, wie es seit Jahrhunderten<br />

üblich war, auf Inseln inmitten der sumpfigen Lagune retten können, noch<br />

wären das seit Ende des 14. Jahrhunderts entwickelte Quarantänesystem und die<br />

Zwangsisolierung der manifest Erkrankten auf bestimmten Inseln so erfolgreich<br />

35 Bergdolt: Pest, S. 28.<br />

36 Bergdolt: Pest 1348, S. 154 f..<br />

37 Bergdolt: Pest, S. 28.<br />

38 Leven: Infektionskrankheiten, S. 23.<br />

39 Zitelli / Palmer: Venezia, S. 26.<br />

40 Vgl. Lang, M.: Der Vrsprung aber der Pestilentz ist nicht natürlich, sondern übernatürlich. Medizinische und<br />

theologische Erklärung der Seuche im Spiegel protestantischer Pestschriften, in: Ulbricht, O. (Hg.): Die leidige<br />

Seuche. Pest-Fälle in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 133-180.

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