Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Natürliche Erfahrungsgrenzen<br />
Vorgänger <strong>als</strong> Folge von Krankheit oder Verwundung erlitten hatten 6 – verhindert<br />
werden.<br />
Die ‚natürliche‘ Begrenzung der frühen europäischen Vorstöße ins westafrikanische<br />
Binnenland wird heute jedem deutlich, der sich die in der Tourismuswerbung<br />
zahlreich verfügbaren Fotografien von anscheinend unendlichen Sanddünen<br />
in der Sahara oder vom dichten Urwald im äquatornahen Bergland anschaut: Was<br />
den Betrachter ästhetisch ansprechen soll, die menschlich unberührte ‚Wildheit‘<br />
der Landschaft, wirkt so beeindruckend, da man sich mit Hilfe des visuellen Eindrucks<br />
in die körperliche Konfrontation mit der gefährlichen Materialität der ‚<strong>Natur</strong>‘<br />
hineindenken kann. Mit dieser sahen sich Afrikareisende des späten 18. und<br />
frühen 19. Jahrhunderts konfrontiert. Sie waren in Westafrika gleißender Sonne,<br />
heftigen Stürmen oder strömendem Regen ausgesetzt, sie wollten hohe Berge oder<br />
wasserlose Ebenen überqueren, sie fürchteten wilde Tiere und Krankheiten. Derartige<br />
Begrenzungen setzten mancher Reise abrupt ein Ende. Doch sie existierten für<br />
die Reisenden und ihre Leser nicht einfach ‚an sich‘. Sie waren eingebettet in die<br />
menschliche Vorstellung von ‚<strong>Natur</strong>‘.<br />
‚<strong>Natur</strong>‘ ist für den Menschen nicht einfach ‚gegebene‘ Umwelt, sondern<br />
zugleich ein Konstrukt aus individuellen ebenso wie soziokulturell geprägten<br />
Wahrnehmungen und Vorstellungen. Philosophen und Kognitionspsychologen 7<br />
versuchen zu erkennen, wie der Mensch die ihm nicht ‚an sich‘ zugängliche materielle<br />
Umwelt durch Sinnstiftung zu erfassen sucht. Die Überfülle von Sinneseindrücken<br />
wird durch den Menschen geordnet und mit einem Sinn, 8 einer von der<br />
eigenen Gesellschaft in großen Teilen bereitgestellten Bedeutung, versehen. Umwelthistoriker<br />
haben gezeigt, dass die grundlegende Spannung zwischen menschlicher<br />
Kultur und <strong>Natur</strong> die Beziehung des Menschen zu seiner gewohnten Umwelt<br />
entscheidend prägt. 9 Nun lässt die fremde Umwelt der Reise die immer vorhandenen<br />
Grenzen des eigenen Sinnsystems 10 noch deutlicher zutage treten <strong>als</strong> die<br />
gewohnte Umgebung, in der sie zum Teil ‚ausgeblendet‘ werden können. Auf einer<br />
Entdeckungsreise gehören folglich paradoxerweise <strong>Grenzerfahrung</strong>en, <strong>als</strong>o Extrembelastungen<br />
des menschlichen Körpers und der menschlichen Psyche, zur<br />
‚Normalität‘.<br />
6 Bovill, E. W.: Missions to the Niger, Bd. 1: The journal of Friedrich Hornemann’s travels from Cairo to Murzuk<br />
in the years 1797-98; The letters of Major Alexander Gordon Laing, 1824-26, Cambridge 1964, S. 4-8.<br />
7 Einen interessanten Dialog über die sowohl philosophisch <strong>als</strong> auch hirnphysiologisch interessante<br />
‚Leib-Seele-Problematik‘ führen beispielsweise der Philosoph Popper und der Hirnforscher Eccles:<br />
Popper, K. R. / Eccles, J. C.: Das Ich und sein Gehirn, München / Zürich 1982. Grundlegend für systemische<br />
Ansätze: Bateson, G.: Geist und <strong>Natur</strong>. Eine notwendige Einheit, Frankfurt a. M. 1982.<br />
8 Köhler, J.: Die Grenze von Sinn. Zur strukturalen Neubestimmung des Verhältnisses Mensch – <strong>Natur</strong>, Freiburg<br />
i. Br. / München 1983, S. 17 f..<br />
9 Z. B. Winiwarter, V.: Zwischen Gesellschaft und <strong>Natur</strong>. Aufgaben und Leistungen der Umweltgeschichte, in:<br />
Bruckmüller, E. / dies. (Hg.): Umweltgeschichte. Zum historischen Verhältnis von Gesellschaft und<br />
<strong>Natur</strong>, Wien 2000, S. 6-18.<br />
10 Köhler: Grenze, S. 18 f..<br />
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