Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Tiere sind keine Sachen<br />
Berkenhoff in seiner Arbeit eine Quelle zitiert – einen Eintrag aus dem Machener<br />
Kirchenbuch vom Jahre 1621:<br />
„Ao 1621 den 20 July ist Hanß Fritzschen weib Catharina allhier zu Machern wohnende<br />
von Ihrer eigen Mietkuhe, da sie gleich hochleiß schwanger gang, auff Ihren Eigenen hofe zu Tode<br />
gestoßen worden. Vber welch vnerhörten Fall der Juncker Friederich von Lindenau, alß Erbsaß<br />
dieseß ortes, in der Jurisstischen Facultet zu Leipzig sich darüber deß Rechtes belernet, Welche<br />
am Ende deß Vrteils diese wort <strong>als</strong>o ausgesprochen: So wird die Kuhe, alß abschewlich thier, an<br />
einen abgelegenen öden ort billig geführet, daselbst Erschlagen oder Erschossen vnd vnabgedeckt<br />
begraben, Christoph Hain domalß zu Selstad wohnend hat sie hinder der Schäfferey Erschlagen<br />
und begraben, welches geschehen den 5. Augusti auff den Abend, nach Eintreibung deß Hirtenß<br />
zwischen 8 und 9 vhren.“ 34<br />
Aus diesem Quellenbeleg, dem weder ein Strafverfahren noch ein Strafurteil<br />
gegen die Kuh entnommen werden kann, ergibt sich lediglich, dass Junker Friederich<br />
von Lindenau, dem das etwa 20 km von Leipzig entfernt liegende Gut Machern<br />
<strong>als</strong> erblicher Grundbesitz gehörte und dem vermutlich die Verwaltungs- und<br />
Gerichtshoheit für den Ort zustand, bei der Leipziger Juristenfakultät Rechtsrat<br />
einholte, wobei folgende Interpretation der Quelle nahe liegt:<br />
Dass Haus- und Nutztiere, die einen Menschen getötet haben, selbst getötet<br />
werden, auch weil sie in Zukunft eine Gefahr für andere darstellen könnten,<br />
kommt noch heute vor. 35 Da es sich aber im vorliegenden Fall um eine Mietkuh,<br />
d.h. um eine gegen Lohn auf dem Hof der Familie Fritzschen untergestellte und<br />
dort durchgefütterte Kuh handelte, könnten rechtliche Bedenken gegen die Tötung<br />
des in fremdem Eigentum stehenden Tieres bestanden haben, 36 die dann mit der<br />
Rechtsauskunft der Leipziger Juristenfakultät ausgeräumt wurden. Dafür spricht<br />
auch, dass die Kuh nicht etwa öffentlich „hingerichtet“, sondern an einem abgelegenen<br />
Ort am Abend erschlagen und vergraben wurde, und es für diesen Vorgang,<br />
das vollständige „Auslöschen“ der Erinnerung an das Tier und seine „Tat“, weitere<br />
Belege im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Recht gibt (auf diesen Aspekt<br />
wird noch zurückzukommen sein).<br />
34 Berkenhoff, Tierstrafe, S. 31. Der Fall ist auch schon bei v. Amira, MIÖG 12 (1891), S. 552 (Fn. 6),<br />
560 (Fn. 4) erwähnt.<br />
35 So ordnet z.B. die hessische Gefahrenabwehrverordnung über das Halten und Führen von Hunden<br />
(HundeVO) in § 14 II 2 die Tötung eines Hundes, der einen Menschen getötet oder ohne begründeten<br />
Anlass ernstlich verletzt hat, an.<br />
36 Dieses Problem trat auch auf, wenn das zur Sodomie missbrauchte Tier in fremdem Eigentum<br />
stand und zusammen mit dem Täter verbrannt werden sollte. Bei Frölich von Frölichsburg, Commentarius,<br />
S. 256 heißt es dazu: Jedoch ist zu wissen / daß der Werth da für dem unschuldigen Herrn des geschändeten<br />
Vieh entweders von des Sodomiten Vermögen / oder da selbiger nichts vermöchte / von dem Gericht ausbezahlt<br />
werden müsse. Ähnlich Meckbach, H. C., Anmerkungen über Kayser Carl des V. und des H. R. Reichs<br />
Peinliche Halßgerichts-Ordnung, Jena 1756, S. 214. Vgl. weiter Guggenbühl, D., Mit Tieren und Teufeln,<br />
Sodomiten und Hexen unter Basler Jurisdiktion in Stadt und Land 1399 bis 1799, Basel 2002, S. 280 (das Tier<br />
wurde mit dem Täter verbrannt und der „Besitzer“ des Tieres aus dem Nachlass des Täters entschädigt).<br />
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