Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Martin Knoll<br />
rich, der sich intensiv mit der Verarbeitung, Nutzung und gesellschaftlichen Relevanz<br />
von Information in der Frühen Neuzeit befasst, betont, dass landeskundliche<br />
Texte „ein besonders aussagekräftiges Beispiel für den Umgang der Frühen Neuzeit<br />
mit Wissensbeständen“ seien, „die auf der Akkumulation von wandelbaren,<br />
partikularen und nicht-systematisierbaren Informationen beruhen […].“ 11 Die<br />
besondere Aussagekraft der Texte dieser Gattung verdanke sich dem Umstand,<br />
dass „sie viele der Schwierigkeiten, die die Sammlung derartiger Informationen bot,<br />
nicht nur implizit erkennen lassen, sondern diese selbst ausdrücklich und ausführlich<br />
reflektieren.“ 12 Interessant ist <strong>als</strong>o das Wie der Wissensorganisation, die Praxis<br />
eines „sammelnden, sichtenden und komprimierenden Empirismus“, wie ihn der<br />
Kultursoziologe Justin Stagl vorgestellt hat. 13<br />
Ich vertrete die These, dass sich historisch-topografische Literatur in besonderem<br />
Maße für eine wahrnehmungsgeschichtliche Analyse von Abgrenzung und<br />
Integration im Verhältnis zwischen menschlichen Siedlungen und naturaler Umwelt<br />
eignet. 14 Das wahrnehmungsgeschichtliche Potenzial der Gattung glaube ich<br />
vor allem mit zwei Argumenten begründen zu können:<br />
Zeit auf das Herauslösen der Landschaftsdarstellung aus den religiösen Bildhintergründen. Ebd.,<br />
S. 39–40. Eine zweite Position argumentiere wissenschaftshistorisch mit der „Scientific Revolution“<br />
des 17. Jahrhunderts und unterstreiche die moderne <strong>Natur</strong>beherrschung. Ebd., S. 40. Eine dritte, in<br />
der Volkskunde und der Mentalitätsgeschichte angesiedelte Positition datiere die Zäsur „mit dem<br />
Aufkommen der Romantik im späten 18. Jahrhundert, die zudem häufig <strong>als</strong> Reaktion auf die beginnende<br />
Industrialisierung interpretiert wird.“ Das Argument bei Letzterer bilde oft die „Neubewertung<br />
der ‚wilden‘ <strong>Natur</strong>“ (Alpen, Meer). Andere Aspekte der <strong>Natur</strong>wahrnehmung wie die Gartenkunst und<br />
die Landschaftsmalerei würden dabei ignoriert. Ebd., S. 40–41. Schramm widerspricht allen drei<br />
Positionen und argumentiert, „daß sich bereits im 17. Jahrhundert die Umrisse einer neuen Sicht auf<br />
die <strong>Natur</strong> abzeichneten, die unter dem Begriff ‚Landschaft‘ popularisiert wurde“. Damit setzt er sich<br />
von der ersten Position <strong>als</strong> zu früher und der dritten Position <strong>als</strong> zu später Datierung ab, während er<br />
die zweite Position <strong>als</strong> zu stark auf die mechanistischen Ansichten der „Scientific Revolution“ fixiert<br />
ablehnt. Ebd., S. 41–42. Es erscheint fraglich, ob eine solche Zuspitzung innerhalb eines chronologisch<br />
wie geografisch breiten Transformationsprozesses notwendig ist. Wer hier zu sehr verengt,<br />
fordert <strong>als</strong> Gegenreaktion Verweise auf frühe Zeugen rationalen Empirismus in der aristotelischscholastischen<br />
<strong>Natur</strong>sicht des Mittelalters ebenso wie Beispiele zäh sich haltender religiös-magischer<br />
Attribuierungen naturaler Phänomene im späten 18. Jahrhundert heraus. Vgl. Knoll, M. / Winiwarter,<br />
V.: Umweltgeschichte. Eine Einführung, Köln u. a. 2007, S. 265–269; weiterführend: Breuninger,<br />
H. / Sieferle, R. P. (Hg.): <strong>Natur</strong>-Bilder. Wahrnehmungen von <strong>Natur</strong> und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt<br />
a. M. 1999. Daneben findet, wer das Thema Landschaftswahrnehmung seines Eurozentrismus entheben<br />
will, Anschluss an Edward Caseys pointierte Thesen, wonach die westliche Landschaftsmalerei<br />
auf eine im globalen Vergleich erheblich verzögerte Entwicklung zurückblicke. Auch seien die<br />
menschliche Wahrnehmung und der menschliche Genuss von Landschaften uralte Phänomene, neu<br />
sei lediglich die Schaffung einer geeigneten Repräsentation von Landschaft. Casey, E. S.: Representing<br />
place. Landscape painting and maps, Minneapolis / London 2002, S. 5.<br />
11 Friedrich: Chorographica, S. 84.<br />
12 Ebd..<br />
13 Stagl, J.: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550-1800, Wien 2002, S. 157–187.<br />
14 Der Mangel an semantischer Eindeutigkeit des Terminus „naturale Umwelt“ verweist auf eine<br />
Diskussion, die hier nicht aufgenommen werden kann. Bernd Herrmann hat jüngst dankenswert<br />
eindringlich auf die terminologisch-konzeptionelle Prekarität des Umgangs der umwelthistorischen<br />
Zunft mit ihrem Gegenstand hingewiesen. Vgl. Herrmann, B.: Umweltgeschichte wozu? Zur gesellschaftlichen<br />
Relevanz einer jungen Disziplin, in: Masius, P. / Sparenberg, O. / Sprenger, J. (Hg.): Umweltge-