Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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24 Eva Schumann<br />
rein rechtstechnischer Vorgang“; 3 „§ 90a [sei] eine gefühlige Deklamation ohne<br />
wirkl[ichen] rechtl[ichen] Inhalt.“ 4<br />
Von dieser rechtlichen Einordnung weichen unsere Alltagsperspektive und die<br />
ethische Bewertung vor allem von Haustieren ganz erheblich ab – wie folgendes<br />
Beispiel verdeutlichen mag: Wenn die Katze einer älteren Dame überfahren wird,<br />
so würde beispielsweise berichtet werden, dass die Katze durch den Unfall schwer<br />
verletzt, trotz Behandlung durch den Tierarzt schließlich an den Folgen ihrer Verletzungen<br />
gestorben, inzwischen im Garten unter einem Obstbaum begraben<br />
worden sei (alternativ könnte man natürlich auch an die Bestattung auf einem Tierfriedhof<br />
denken) und der Tod der Katze nicht nur bei der älteren Dame, sondern<br />
auch bei einigen Nachbarskindern Schmerz und Trauer ausgelöst habe. Diese<br />
Tendenz zur Vermenschlichung von Haustieren, die verletzt, ärztlich behandelt,<br />
bestattet und betrauert werden, ist uns allen geläufig. 5<br />
Aus seit Jahrhunderten tradierten Märchen und Fabeln sind uns auch von<br />
Kindheit an die Zuschreibungen menschlicher Züge und Charaktereigenschaften<br />
für bestimmte Tiere vertraut (wie der listige Fuchs, der treue Hund, der dumme<br />
Esel) – ebenso die Rückübertragung dieser Eigenschaften auf den Menschen, die<br />
zu Wortbildungen wie „lammfromm“ oder „saudumm“ oder zu Umschreibungen<br />
wie „er ist listig wie ein Fuchs“ geführt hat. In einen strafrechtlichen Kontext<br />
werden Tiere schließlich durch Formulierungen wie „die diebische Elster“ oder der<br />
„Mörderhai“ eingebunden. 6 Diese Beispiele, die noch um den Werwolf <strong>als</strong><br />
klassische Gestalt der Tier-Mensch-Verwandlung ergänzt werden können, 7 sind<br />
Beleg dafür, wie stark unsere Kultur von Vorstellungen der Übertragung<br />
3 Holch, Münchener Kommentar zum BGB, § 90a BGB, RdNr. 3.<br />
4 Ellenberger, J., in: Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl. München 2009, § 90a BGB, RdNr. 1.<br />
Kritisch zur rechtlichen Einordnung von Tieren Fischer, M., Tierstrafen und Tierprozesse – zur sozialen<br />
Konstruktion von Rechtssubjekten, Hamburger Studien zur Kriminologie und Kriminalpolitik, Bd. 38,<br />
Münster 2005, S. 144 f.; Bingener, I., Das Tier im Recht, Aktuelle Fragen – sachliche Antworten, Göttingen<br />
1990, S. 13 ff.<br />
5 Zur Wahrnehmung von Haustieren <strong>als</strong> Individuen vgl. auch Fischer, Tierstrafen, S. 13; ders.,<br />
Differenz, Indifferenz, Gewalt: Die Kategorie „Tier“ <strong>als</strong> Prototyp sozialer Ausschließung, Krim. Journal 33<br />
(2001), S. 170, 173 f.<br />
6 Dazu Fischer, Tierstrafen, S. 13 f., 133.<br />
7 Zu den frühneuzeitlichen – vor allem aus Frankreich überlieferten – „Werwolfprozessen“, die sich<br />
nicht gegen Tiere richteten, sondern gegen Menschen, denen man vorwarf, die Gestalt eines Wolfes<br />
annehmen zu können, vgl. Richter, S., Werwölfe und Zaubertänze, Vorchristliche Glaubensvorstellungen in<br />
Hexenprozessen der frühen Neuzeit, Diss. Gießen 1998, S. 84 ff.; Schulte, R., Hexenmeister, Die Verfolgung<br />
von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im Alten Reich, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2000,<br />
S. 21 ff., insb. S. 35 ff.; Schild, W., Missetäter und Wolf, in: Köbler, G./Nehlsen, H. (Hrsg.), Wirkungen<br />
europäischer Rechtskultur, Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, München 1997,<br />
S. 999, 1007 ff. Zur Vorstellung, dass der Teufel hinter diesen Verwandlungen stecke, vgl. nur<br />
Fischart, J., Vom Außgelasnen Wütigen Teüffelsheer, allerhand Zauberern / Hexen unnd Hexenmeistern<br />
/ Unholden / Teuffelsbeschwerern / Warsagern / Schwartzkünstlern […], Straßburg 1591 (deutsche<br />
Übersetzung des Werkes De Magorum Daemonomania von Jean Bodin), dort Cap. VI: Von der Lycanthropia<br />
oder Wolffssucht / vnd ob der Teuffel die Menschen inn Viech vnnd Thier verwandeln könne (fol. 118-129).<br />
Vgl. weiter Fischer, Tierstrafen, S. 43 f., 47.