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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Justin Stagl<br />

Dennoch wurde aber ein Teil des vom sammelnden Empirismus gewonnenen<br />

Wissens weitergegeben und weiterverarbeitet, sodass es zu einem kontinuierlichen<br />

Wissensfortschritt kam:<br />

Erstens, in den Sammlungen. Hier wurde der erwähnte Übergang von der personbezogenen<br />

zur selbstbezogenen Sammlung bedeutsam, denn diese letztere ist unbegrenzt<br />

erweiterungsfähig. Solche Sammlungen wurden nach rhetorischen Gesichtspunkten<br />

(topisch) geordnet; fundamental war die Einteilung in Werke der<br />

<strong>Natur</strong> und solche der Kunst (naturalia et artificialia). Wie in einer Rede konnten die<br />

Elemente einer Sammlung gegebenenfalls neu arrangiert werden. Frühmoderne<br />

Sammlungen waren „multimedial“; zunächst waren sie Erweiterungen der Persönlichkeitssphäre<br />

des Sammlers, der willkommene Besucher selber herumführte oder<br />

doch herumführen ließ. Damit wurden die Sammelobjekte mit dem gesprochenen<br />

Wort zu einem Ganzen verbunden; durch Beschriftungen (inscriptiones, subscriptiones)<br />

konnte ein derartiger Rundgang auch indirekt und unpersönlich gesteuert werden.<br />

Detailliertere Verschriftlichung boten die Kataloge, die auch gedruckt unter dem<br />

Publikum verbreitet wurden und so für die Sammlung warben. Von dieser Multimedialität<br />

nahm im späten 16. Jahrhundert die Museologie ihren Ausgang (Ulisse<br />

Aldovrandi, Samuel Quiccheberg, Gabriel Kaldemarckt).<br />

Zweitens, der Druck bot die Möglichkeit, einzelne Datensammlungen, wie zum Beispiel<br />

Reisebeschreibungen oder Briefwechsel, zu größeren Ganzheiten zusammenzufassen.<br />

Entweder blieben die Texte unverändert, dann boten sie einen Vergleich,<br />

etwa antiken und modernen Materi<strong>als</strong>, oder die Möglichkeit eines solchen. Häufiger<br />

waren Werke, die Exzerpte oder Zusammenfassungen der Primärtexte topisch<br />

geordnet dargeboten, um dem Durchschnittsleser die aufwändige Konsultation der<br />

Primärtexte zu ersparen (compendia). Vergleichbare Sammelwerke gab es auch für<br />

bildliches Material, etwa Antikenzeichnungen, Trachten, Stadtansichten, Pflanzen<br />

und Tiere, Karten und dergleichen. Gedruckte Sammelwerke waren gleichsam<br />

Halbfertigprodukte, die eine gewisse Auswahl und Ordnung in die Fülle der ursprünglich<br />

eingesammelten Daten hereinbrachten und die weitere Verarbeitung in<br />

Enzyklopädien oder auch theoretischen Werken vorbereiteten. Die letztendliche<br />

Voraussetzung aller derartigen Werke boten die Sammlungen ungedruckter und<br />

gedruckter schriftlicher Dokumente (Archive, Bibliotheken).<br />

Drittens, die Idee eines Gesamtsystems aller materiellen und immateriellen, wirklichen<br />

und möglichen Sammelobjekte war durch die des „Buches der Welt“ beziehungsweise<br />

des „Mikrokosmos“ nahe gelegt. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts<br />

suchte Giulio Camillo den inneren Zusammenhang der Welt mittels materieller<br />

Gedächtnisstützen in einem „Welttheater“ zu veranschaulichen. Dieses System<br />

erschloss sich freilich nur dem individuellen Genie, das die ars memorativa Camillos<br />

gemeistert hatte. Um die Mitte des Jahrhunderts trat der Logiker Petrus Ramus mit<br />

seiner „natürlichen Methode“ der Untergliederung, Definition und Zusammenfas-

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