Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Justin Stagl<br />
gelten. Zunächst bilden sie so genannte Schätze. Die Menschheitsepoche der<br />
Schatzbildung setzt aber eigentlich erst mit dem Übergang vom Wildbeutertum<br />
zum Bodenbau ein. Erst die Sesshaftigkeit ermöglicht das Anlegen größerer Vorräte<br />
aus utilitären und Schätze aus nichtutilitären Gütern, die dann in besonderen<br />
„Sammlungsräumen“ (Manfred Sommer) bewahrt werden. 27 Der Schatz ist aber<br />
noch keine differenzierend-ästhetische Sammlung im Vollsinne, denn hier sind die<br />
Objekte jedes für sich wertvoll, ihr innerer Zusammenhang aber gering. Schätze<br />
ändern daher auch leicht ihre Zusammensetzung. Sie zu bilden und gegen Begehrlichkeiten<br />
zu bewahren ist nur Mächtigen möglich. Außer durch Macht kann man<br />
sie etwa auch noch durch Verbergen oder durch Tabuisieren schützen, in welchem<br />
Falle man eher von Horten spricht. Die sinnreichste Form, hochgeschätzte Objekte<br />
zu bewahren, ist indes der Gabentausch. Dann zirkuliert ein Teil des Schatzes<br />
mit der Verpflichtung zur Gegengabe innerhalb der Gemeinschaft, während der<br />
beim Besitzer verbleibende Teil sich durch Ab- und Zugänge laufend verändert<br />
und beide gemeinsam auf das Beziehungsnetzwerk des Besitzers verweisen. Durch<br />
ihre unterschiedlichen Geschicke laden die Einzelstücke sich stets mit neuen Bedeutungen<br />
auf. 28<br />
Das Sammeln hat von Anbeginn auch eine geistige Dimension: mit den Dingen<br />
sammelt man auch Erfahrung. Indem er sich aus der Welt materielle Dinge<br />
aneignet, erwirbt der Sammler mit der aufgewendeten Arbeit und den eingegangenen<br />
Risiken auch Wissen und Verhaltenssicherheit, kommt zu sich selbst und festigt<br />
seine Identität. So wird der Begriff Sammeln auch soziologisch und psychologisch<br />
verwendet: Sich sammeln und dann wieder zerstreuen können auch soziale<br />
Gruppen und kann auch der Einzelne in seinem Inneren. Die Bedeutung der anderen<br />
für die Sammeltätigkeit wurde schon erwähnt. Man kann den materiellen wie<br />
den geistigen Ertrag seines Sammelns anderen vorenthalten oder mitteilen. Nicht<br />
bloß über die Objekte selbst, auch über die mit ihnen verbundenen Erzählungen,<br />
Kenntnisse und Fertigkeiten erwirbt man Wissen über die Welt und sich selbst. So<br />
ließe sich sagen, dass im Grunde gar nicht der einzelne Sammler, sondern seine<br />
Gemeinschaft das Subjekt der Sammeltätigkeit ist. Oft tritt an die Stelle der Sammlerpersönlichkeit<br />
die „kollektive Geschichte, eine gemeinsame Tradition“ (Adrian<br />
Stähli), <strong>als</strong> deren Exponent der Einzelne fungiert. 29 Umfassender und systematischer<br />
<strong>als</strong> dies bei Wildbeutern und Bodenbauern möglich ist, wird das Sammeln in<br />
urbanen Gesellschaften betrieben, insbesondere dank der Möglichkeit der Speicherung<br />
von Bedeutungen in der Schrift. 30<br />
27 Sommer: Sammeln, S. 138-162.<br />
28 Vgl. etwa Reinhard, W. / Stagl, J. (Hg.): Menschen und Märkte. Studien zur Historischen Wirtschaftsanthropologie,<br />
Wien / Köln / Weimar 2007.<br />
29 Stähli, A.: Sammlungen ohne Sammler. Sammlungen <strong>als</strong> Archive des kulturellen Gedächtnisses im antiken Rom,<br />
in: Assmann et al.: Sammler-Bibliophile, S. 55-86, hier S. 57.<br />
30 Sommer: Sammeln, S. 343-355.