08.12.2012 Aufrufe

Natur als Grenzerfahrung - Oapen

Natur als Grenzerfahrung - Oapen

Natur als Grenzerfahrung - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

288<br />

Monika Gisler<br />

(1713–1797). Dieser verkörperte gleichsam den aufgeklärten gelehrten Geistlichen<br />

des 18. Jahrhunderts, der sowohl <strong>als</strong> protestantischer Theologe – er wirkte an der<br />

französischen Kirche in Bern – wie auch <strong>als</strong> Philosoph und <strong>Natur</strong>forscher tätig<br />

war: Bertrand befasste sich intensiv mit der <strong>Natur</strong>geschichte der Schweiz und der<br />

Alpen. Neben theologischen Werken veröffentlichte er zahlreiche naturphilosophische<br />

Schriften. Ausgedehnte Reisen in die Berge hatten ihn für das Studium<br />

der <strong>Natur</strong> sensibilisiert, insbesondere für die Geologie. Dieses Interesse ist wiederum<br />

darauf zurückzuführen, dass der Gelehrte Gottes Schöpfung in der Ordnung<br />

der <strong>Natur</strong> abgebildet sah; diese galt es zu erforschen und das Wissen einem breiten<br />

Publikum zugänglich zu machen. In Übereinstimmung mit Athanasius Kircher und<br />

entgegen den Vorstellungen des englischen <strong>Natur</strong>forschers und Theologen<br />

Thomas Burnet, mit dem sich auch schon Scheuchzer intensiv auseinandergesetzt<br />

hatte und der, wie bereits erwähnt, die nachsintflutliche Welt <strong>als</strong> Ruine und die in<br />

ihr angesiedelte Berglandschaft <strong>als</strong> wild und nutzlos beschrieben hatte, begriff der<br />

Berner Geistliche das Gebirge <strong>als</strong> notwendige Struktur für die Stabilität der Erde<br />

und <strong>als</strong> Gefäss von Gewässern. Über dieses optimistische Nützlichkeitstheorem<br />

hinaus scheinen in den Schriften Bertrands zudem erste Tendenzen auf, die wilde<br />

<strong>Natur</strong> mittels einer ästhetisierenden Beschreibung zu idealisieren. In seinem Essai<br />

sur les usages des montagnes beschreibt Bertrand die Schönheit der Berge unabhängig<br />

von deren Nutzen: „Les Montagnes sont belles indépendamment de leurs usages“.<br />

21 Diese Ausführungen sind gleichsam <strong>als</strong> Ausgangspunkt einer ästhetischen<br />

Betrachtung der ungestalteten Hochgebirgsregion zu lesen, sie wurden dann etwa<br />

von Horace-Bénédict de Saussure (1740–1799) gegen Ende des Jahrhunderts fortgeführt.<br />

22<br />

4 Vom Schrecken der <strong>Natur</strong> zum Erhabenen<br />

Neu an der Wahrnehmung der Alpen im 18. Jahrhundert war nicht nur, dass Letztere<br />

zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung avancierten, sondern auch,<br />

dass die alpine Landschaft <strong>als</strong> erhabenes Schauspiel erlebt wurde. Das Erhabene,<br />

so die Vorstellung, entfaltete sich in der Begegnung des empfindsamen Menschen<br />

mit der grossartigen Gebirgslandschaft. Wie die Alpen neu zu erfahren waren,<br />

hatten bereits Scheuchzer, Haller, Bertrand u. a. gelehrt – notabene durchwegs<br />

Angehörige der städtischen Elite. Im Zuge der europäischen Aufklärung wurden<br />

nun neue moralische und ästhetische Postulate verfasst, die diesen Beziehungswandel<br />

fortsetzen sollten. 1757 schrieb der britische Denker und Staatsmann<br />

Edmund Burke (1729–1797) die für den Verlauf der deutschsprachigen Ästhetikdebatte<br />

wohl einflussreichste philosophische Untersuchung über das Erhabene und<br />

21 Bertrand E.: Mémoires historiques et physiques sur les tremblemens de terre, Vevey 1766, S. 115.<br />

22 Gisler: <strong>Natur</strong>.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!