Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Justin Stagl<br />
Lebens, für technologischen Fortschritt, Bildungsreform, Herbeiführung von Frieden,<br />
Gerechtigkeit und Wohlfahrt verbunden. Im Utopismus des 16. und 17. Jahrhunderts<br />
erweiterten sie sich zu Totalreformationsprogrammen für das menschliche<br />
Leben. 18<br />
2 Phänomenologie des Sammelns<br />
Sammeln 19 ist eine Form von Weltaneigung. Das Wort bedeutet das Zusammenbringen<br />
verstreuter Dinge an einem Ort. Diese Dinge sollen einander in irgendeiner<br />
Hinsicht ähnlich oder verwandt sein („sammeln“ ist einen Ursprungs mit lateinisch<br />
similis, englisch the same und deutsch „zusammen“). 20 Die Sammelobjekte<br />
werden vom Sammler ihren bisherigen Kontexten entnommen und in einen neuen<br />
Kontext, den der Sammlung, eingefügt.<br />
Ursprünglich sind diese Dinge <strong>als</strong>o unabhängig vom Sammler in der Welt vorhanden<br />
gewesen. Der Sammler aber bringt sie von der Peripherie seines Handlungsbereichs<br />
in dessen Zentrum, wo er besser über sie verfügen kann. Den Anstoß<br />
für das Sammeln gibt das Ausgeliefertsein des Menschen an die Welt. 21 Wenn<br />
er da wenigstens ein paar Dinge unter seiner Verfügungsgewalt hat, gibt ihm das<br />
einen gewissen Rückhalt. Dafür erfordert das Sammeln Bewegungen im Raum,<br />
einen Aufwand an Zeit sowie Arbeit und Risiken. Auch schaffen die gesammelten<br />
Dinge neue Probleme: Der Sammler muss sie jetzt gegen Verderb und fremden<br />
Zugriff schützen. Dazu braucht er Rückhalt in seiner Gemeinschaft: „Kein Sammler<br />
sammelt allein“ (Alois Hahn). 22<br />
Hat man eine Anzahl verwandter Dinge an einem Ort zusammengebracht,<br />
kann man sie betrachten, untersuchen, bearbeiten, benützen. Hierin setzt die sammelnde<br />
Weltaneignung sich fort. Was zunächst nur Ansammlung war, wird nunmehr<br />
zur Sammlung. Deren Hauptcharakteristikum ist ihre Ordnung. Schon das<br />
Zusammentragen der Objekte ist von einer Ordnungsvorstellung geleitet. Auffassungen<br />
von Ähnlichkeit und Verwandtschaft hängen mit der Auffassung von der<br />
Ordnung der Welt zusammen. An solchen Vorstellungen, die der Sammler mit<br />
18 Näher ausgeführt und belegt in Stagl: Geschichte, Kap. 3, S. 123-194.<br />
19 Vgl. auch Stagl, J.: Homo Collector: Zur Anthropologie und Soziologie des Sammelns, in: Assmann,<br />
A. / Gomille, M. / Rippl, G. (Hg.): Sammler-Bibliophile-Exzentriker, Tübingen 1998, S. 37-54.<br />
Parallel dazu sind zwei wichtige Arbeiten zu dem Thema erschienen: Minges, K.: Das Sammlungswesen<br />
der Frühen Neuzeit. Kriterien der Ordnung und Spezialisierung, Münster 1998 und Sommer, M.: Sammeln. Ein<br />
philosophischer Versuch, Frankfurt a. M. 1999 (eine umfassende Phänomenologie des Sammelns und,<br />
quasi im antiken Sinne, zitaten- und fußnotenlos).<br />
20 Grimm, J. / Grimm, W.: Deutsches Wörterbuch, Bd. 14, München 1984, Sp. 1741-1743; Kluge, F.:<br />
Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin / New York 211975, S. 622 f..<br />
21 Hahn, A.: Soziologie des Sammlers, in: Hinske, N. / Müller, M. J. (Hg.): Sammeln – Kulturtat oder<br />
Marotte?, Trier 1984, S. 11-19.<br />
22 Ebd., S. 15.