Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Maike Schmidt<br />
und spricht von Berlin wie wir von Stockholm. Den spanischen Schriftstellern ist es sehr geläufig,<br />
unter dem Norden Großbritannien zu verstehen; und es ist natürlich, daß der Afrikanische Erd-<br />
und Geschichtsschreiber das Mittelländische Meer die Nordsee nennt, und sich alle Europäer wie<br />
Nordische Völker denkt.“ 43<br />
Die zunehmende Kenntnis über die nördliche Welt führte dazu, dass der Norden<br />
<strong>als</strong> aus der antiken Klimatheorie gewachsener Raum nicht mehr <strong>als</strong> einheitlich<br />
wahrgenommen wurde; vielmehr erkannte man die Unterschiede zwischen „unser[em]<br />
Norden“ 44 – <strong>als</strong>o dem europäischen – und dem „äußerste[n] Norden“ 45. In<br />
diesem Sinne zählt Johann Reinhold Forster (1729-1798) in seiner Geschichte der<br />
Entdeckungen und Schiffahrten im Norden (1784) die Hudson Bay, Alaska, Nordamerika,<br />
Grönland, Island, Spitzbergen, Nowaja Semlja, Sibirien und Kamtschatka zum<br />
äußersten Norden. 46 Eine ähnliche Einteilung hatte 1768 schon Johann Christoph<br />
Adelung (1732-1806) vorgenommen, der die Reisen in die Länder jenseits des<br />
nördlichen Polarkreises untersuchte. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis verdeutlicht,<br />
dass hier wie bei Forster die Hudson Bay, Grönland, Spitzbergen, Russland<br />
und Kamtschatka <strong>als</strong> Norden verstanden werden. Der „äußerste Norden“ wird<br />
damit zu einem eigenen Konzept, der alle zirkumpolar liegenden Länder des Nordens<br />
einschließt und für das Unerforschte und Unbekannte steht. Da die Grönlandfahrer<br />
wie oben beschrieben das Erreichen der Eisgrenze durch eigene Einträge<br />
in die Schiffsjournale oder Reiseberichte markierten, ist davon auszugehen, dass<br />
sie diese Eisgrenze ebenfalls <strong>als</strong> Grenze zum „äußersten Norden“ betrachteten.<br />
Den Ländern des „äußersten Norden“ gemeinsam ist die kalte und lebensfeindliche<br />
<strong>Natur</strong>, die ein Überleben nur unter extremer Anpassungsbereitschaft<br />
ermöglicht. Nicht nur die Sitten und Gebräuche der Bewohner des „äußersten<br />
Nordens“ sind sich deshalb so ähnlich, sondern auch ihre Physiognomie und ihre<br />
Denkweise. Dieser Zusammenhang, der hier nur in Form eines Ausblicks behandelt<br />
werden kann, interessierte vor allem die Geschichtsphilosophen, die sich mit<br />
den Unterschieden im Menschengeschlecht beschäftigten. Sie sahen im Zusammenspiel<br />
zwischen den äußeren Bedingungen des Klimas, der Geographie eines<br />
43 Schlözer, A. L.: Allgemeine Nordische Geschichte. Aus den neuesten und besten Nordischen Schriftstellern und<br />
nach eigenen Untersuchungen beschrieben, und <strong>als</strong> eine Geographische und Historische Einleitung zur richtigeren<br />
Kenntniß aller Skandinavischen, Finnischen, Slavischen, Lettischen, und Sibirischen Völker, besonders in alten und<br />
mittleren Zeiten. (Fortsetzung der Algemeinen Welthistorie durch eine Gesellschaft von Gelehrten in<br />
Teutschland und England ausgefertigt 31; Algemeine Welthistorie durch eine Gesellschaft von Anbeginn<br />
der Welt bis auf gegenwärtige Zeit 31; Historie der Neuern Zeit 13), Halle 1771, S. 3.<br />
44 Forster, J. R.: Geschichte der Entdeckungen und Schiffahrten im Norden. Mit Originalkarten versehen von<br />
Johann Reinhold Forster, Frankfurt (Oder) 1784, S. 7.<br />
45 Ebd., S. 10. Adelung führt ebenfalls einen Superlativ an: „so hatten die [Versuche einen Seeweg<br />
nach Asien zu finden] doch zufälliger Weise den Nutzen, daß man die nördlichsten Theile der Erdkugel<br />
besser kennen und sich ihre Producte zu Nutze zu machen lernete.“ Adelung, J. C.: Geschichte<br />
der Schiffahrten und Versuche welche zur Entdeckung des Nordöstlichen Weges nach Japan und China von verschiedenen<br />
Nationen unternommen worden. Zum Behufe der Erdbeschreibung und <strong>Natur</strong>geschichte dieser Gegenden, Halle<br />
1768, S. 7. Hier fehlt jedoch eine direkte Gegenüberstellung von äußerstem Norden und europäischem<br />
Norden.<br />
46 Vgl. Forster: Geschichte, S. 552.