Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Konflikte um Wald und Holz in Nordwesteuropa während des 19. Jahrhunderts<br />
sammenhang, dass gerade die deutsche Forstwissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
den Begriff Nachhaltigkeit geprägt hätte. Eine solche Argumentation<br />
verengt jedoch die Diskussion um Nachhaltigkeit allein auf ihre ökonomische Dimension<br />
und vernachlässigt ökologische, aber auch soziale Facetten. Zugleich<br />
übersieht sie oft, dass zwischen dem historischen Begriff Nachhaltigkeit, wie er im<br />
deutschsprachigen Raum um 1800 aufkam, und einem für die heutige wissenschaftliche<br />
Debatte tauglichen analytischen Begriff ein Unterschied bestehen kann.<br />
Andererseits warnen Autoren, wie z. B. Rolf Peter Sieferle und Nils Freytag davor,<br />
ökologische Wertvorstellungen der heutigen Zeit ins 19. Jahrhundert zurückzuprojizieren<br />
und die Forstwirtschaft jener Zeit pauschal abzuqualifizieren. 13<br />
Zugleich muss beachtet werden, dass neben dem ökonomisch nachhaltigen<br />
Handeln, um das die Debatten der Forstwirtschaft des 19. Jahrhundert kreisten,<br />
auch andere Auffassungen von Nachhaltigkeit in der Geschichte anzutreffen sind,<br />
und zwar auch ohne den Begriff Nachhaltigkeit oder nachhaltig bzw. seine fremdsprachigen<br />
Entsprechungen zu benutzen. So zeigt etwa die kolonialgeschichtliche<br />
Studie von Richard Grove, dass französische und englische Beamte schon im<br />
17. Jahrhundert erschrocken auf die Auswirkungen rücksichtsloser Waldwirtschaft<br />
in den Kolonien reagierten: Angesichts einer Kolonialwirtschaft, die ganze Landstriche<br />
in Asien und Afrika entwaldete, drängten sie in Paris und London auf eine<br />
Änderung der Politik. Die Argumentation der Kolonialbeamten zielte auf eine<br />
ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit: Der Wirtschaft ergehe es schlecht,<br />
wenn ihr bald der wichtige Rohstoff Holz fehle, und der <strong>Natur</strong> werde Furchtbares<br />
angetan, da sich Landschaften durch Kahlschlag in karge Wüsten verwandelten<br />
und die Vielfalt der Arten – <strong>als</strong>o Gottes Schöpfung! – zerstört werde. 14 Sein greifbarstes<br />
Resultat fand das Drängen der Kolonialbeamten in der Einrichtung oder<br />
Erweiterung botanischer Gärten, zunächst in Paris und London, später folgten<br />
zahlreiche andere europäische Städte. Die Kolonialwirtschaft hingegen änderte sich<br />
kaum. – In der Forschung wurde zwar die Einrichtung von botanischen Gärten<br />
bereits erörtert. 15 Hingegen sind die Herausbildung unterschiedlicher Nachhaltigkeitskonzepte,<br />
ihre Verbreitung über Landesgrenzen hinweg sowie ihre mögliche<br />
Veränderung oder Anpassung an vorhandene Vorstellungen zum Verhältnis zwischen<br />
Mensch und Umwelt noch nicht untersucht worden.<br />
Wald- und forstgeschichtliche Untersuchungen zur Entwicklung des Leitbildes der forstlichen Nachhaltigkeit, in:<br />
Westfälische Forschungen 57, 2007, S. 71-101, hier S. 90-95.<br />
13 Eine zusammenfassende Erörterung dieser kritischen Stimmen, die vor unhistorischen Wertmaßstäben<br />
warnen, bei Radkau, J.: Nachdenken über Umweltgeschichte, in: Siemann, W. / Freytag, N. (Hg.):<br />
Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven, München 2003, S. 139-148.<br />
14 Grove, R.: Green Imperialism. Colonial Expansion, Tropical Island Edens and the Origins of Environmentalism<br />
1600-1860, Cambridge 1995, bes. S. 393-404.<br />
15 Spary, E. C.: Utopia’s garden. French <strong>Natur</strong>al History from Old Regime to Revolution, Chicago 2000; Desmond,<br />
R.: Kew. The history of the Royal Botanic Gardens, London 1995; Stoverock, H.: Der Poppelsdorfer<br />
Garten. Vierhundert Jahre Gartengeschichte, Bonn 2001.<br />
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