Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Justin Stagl<br />
ja gerade die Länder, die sich später der Reformation anschlossen, das Gros der<br />
frühneuzeitlichen Bildungs- und Forschungsreisenden gestellt. Hier ging es weniger<br />
um die allseitige Ausbildung der Persönlichkeit <strong>als</strong> um ein Wiederanknüpfen an<br />
die Tradition, aus der der Humanismus lebte. So haben auch die Reisen und das<br />
Sammeln einen überkonfessionellen, überpolitischen europäischen Kommunikationsraum<br />
geschaffen. Das sammelnde Reisen ließ sich auch nach der Rückkehr<br />
über Korrespondenzen fortführen. Die Sammlungen bildeten ja Knotenpunkte der<br />
res publica litteraria, an denen sich Interessierte (virtuosi, curiosi) zum Meinungs- und<br />
Wissensaustausch begegneten. Gebildeten Durchreisenden, vor allem wenn sie<br />
über Empfehlungsschreiben verfügten, standen sie gleichfalls offen. Hier konnte<br />
man soziale Beziehungen knüpfen und Hinweise für die eigene Sammeltätigkeit<br />
finden. Humanistisch inspirierte Sammlungen waren keine bloßen Schätze mehr.<br />
Sie waren auch Forschungsstätten. Bei der näheren Untersuchung, Ordnung und<br />
Vergleichung der Objekte konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden; gelegentlich<br />
wurde auch experimentiert, demonstriert und gelehrt. 51 Hinzu traten in den<br />
botanischen und zoologischen Gärten, von denen besonders erstere forschungsorientiert<br />
waren, 52 auch Sammlungen belebter Objekte.<br />
Drittens, das Anlegen von Datensammlungen. Den Reisenden wurde immer wieder<br />
nahe gelegt, ihre Eindrücke und Erkenntnisse sogleich festzuhalten. Die ars apodemika<br />
stellte die Anschauung über das Hörensagen und das Dokument über das<br />
Gedächtnis. Notizen sollten bei Gelegenheit in ein topisch geordnetes Hauptbuch<br />
übertragen werden, auf dem die spätere Reisebeschreibung aufbauen konnte. Auch<br />
Skizzenbücher sollten angelegt werden. So konnte ein Reisender mit wenig Geld<br />
seine eigene Sammlung aufbauen. Er brauchte sich bloß auf Objekte von geringem<br />
Material- und umso größeren Bedeutungswert zu konzentrieren, die auch leicht zu<br />
transportieren waren, wie zum Beispiel Abschriften von Inschriften, Exzerpte,<br />
Notate von Sprichwörtern, treffenden Bemerkungen und Ausdrücken, Beschreibungen<br />
technischer Verfahren, Rezepte, Beobachtungen des Wetters oder der<br />
Gestirne, getrocknete Pflanzen, Pläne und Ansichten von Monumenten oder Städten.<br />
Viertens, Befragung. Reisenden wurden auch Fragenlisten mitgegeben, die sie durch<br />
örtliche Nachforschungen beantworten sollten. Auch enthält die ars apodemica Hinweise<br />
für das diskrete Ausforschen anderer. Sammlungen wie die eben erwähnten<br />
konnten ohne gezieltes Datensammeln nicht zustande kommen. Die Befragung<br />
liegt etwa in der Mitte zwischen dem Sammeln und dem Experiment. Zwar sind<br />
einerseits die Daten unabhängig vom Forscher in der Außenwelt vorhanden, je-<br />
51 Vgl. Céard, J. (Hg.) : La Curiosité à la Renaissance, Paris 1986.<br />
52 Müller-Wille, S.: Ein Anfang ohne Ende. Das Archiv der <strong>Natur</strong>geschichte und die Geburt der Biologie, in: Van<br />
Dülmen / Rauschenbach: Macht, S. 587-605.