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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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4 Lars Kreye, Carsten Stühring, Tanja Zwingelberg<br />

benszusammenhänge. Diese werden in der Stadt von Wissenschaft, Technik und<br />

Handel bestimmt, deren Rhythmen das menschliche Leben immer schneller umwälzen.<br />

Eine ruhende Anschauung der <strong>Natur</strong> <strong>als</strong> Gegenseite zur städtischen Welt war<br />

für Schillers Wanderer nur jenseits der Grenzen jeglicher menschlicher Kultur<br />

möglich. Jedoch barg die Überschreitung der Grenze zur ‚wilden‘ <strong>Natur</strong>, der<br />

jegliche „Spur menschlicher Hände“ 3 fehlte, Gefahr. Und so fürchtete sich der<br />

Wanderer zunächst, <strong>als</strong> er in eine menschenleere Gegend gelangte: „Wild ist es hier<br />

und schauerlich öd!“ 4 Doch erkannte er inmitten der Wildnis, dass er nicht allein,<br />

sondern die <strong>Natur</strong> um ihn war, was ihn beruhigte und die schrecklichen Empfindungen<br />

beim Übertritt der Grenze nur <strong>als</strong> einen „Traum“ 5 erscheinen ließ. So<br />

kommt er letztlich zu jenem Ruhepunkt, an dem er selbst die Wildnis <strong>als</strong> „fromme<br />

<strong>Natur</strong>“ 6 wahrnimmt und in ihr das alte Gesetz des Kreislaufs wiederentdeckt.<br />

Doch extremer <strong>als</strong> in der Schilderung des Landlebens bestimmte die <strong>Natur</strong> hier<br />

nicht nur den Alltag, sondern in Form von Geburt und Tod das menschliche Leben<br />

überhaupt. So strahlte die Erkenntnis einer Unveränderlichkeit der immer<br />

gleichen <strong>Natur</strong> in einer sich schneller drehenden Welt Ruhe aus, und der Wanderer<br />

fand sich <strong>als</strong> Mensch in der <strong>Natur</strong> in seiner eigenen Begrenztheit wieder. 7<br />

Drei grundlegende Formen der Beziehung von Mensch und <strong>Natur</strong> werden in<br />

Schillers Gedicht Der Spaziergang angesprochen: Erstens, die Eingebundenheit des<br />

ländlichen Alltags in die Rhythmen der <strong>Natur</strong>, zweitens, die moderne Objektivierung<br />

der <strong>Natur</strong> durch Wissenschaft und Technik und drittens, die zweckfreie,<br />

transzendentale Anschauung einer über das endliche menschliche Dasein hinaus<br />

erhabenen <strong>Natur</strong>. Dabei barg die Überschreitung der Grenze zur ‚wilden‘ <strong>Natur</strong><br />

Gefahren, da sich hier weder die Lebenszusammenhänge des Stadt- noch des<br />

Landlebens finden lassen. Erst die transzendentale Anschauung der erhabenen<br />

<strong>Natur</strong> brachte dem Menschen seine Selbstgewissheit zurück.<br />

3 Ebd., S. 63.<br />

4 Ebd., S. 64.<br />

5 Ebd..<br />

6 Ebd., S. 65.<br />

7 In diesen Formulierungen Schillers wurde der Gegensatz aufgehoben, dass der Mensch <strong>als</strong> sinnliches<br />

Wesen Teil der <strong>Natur</strong> war und ihr gleichzeitig <strong>als</strong> Erkennender gegenüberstand. Diese Selbstbegegnung<br />

des Menschen in der Erkenntnis einer „immer gleichen <strong>Natur</strong>“ trug im Historismus bei<br />

Droysen und Dilthey zu einer Trennung zwischen natürlicher und menschlicher Welt bei, da nur<br />

letztere <strong>als</strong> geworden, veränderlich und damit <strong>als</strong> prinzipiell erfahrbar galt. Ähnlich formulierte Heisenberg<br />

später die Grenze des Verfahrens instrumenteller <strong>Natur</strong>erkenntnis <strong>als</strong> Selbstbegegnung des<br />

forschenden Menschen mit der <strong>Natur</strong>, vgl. Fellmann, F.: <strong>Natur</strong> <strong>als</strong> Grenzbegriff der Geschichte, in:<br />

Schwemmer, O. (Hg.): Philosophische Beiträge zum <strong>Natur</strong>verständnis, Frankfurt a. M. 21991, S. 82,<br />

85, 86. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Fellmanns Hinweis auf einen „antinaturalistischen<br />

Geschichtsbegriffs“ deskriptiv und analytisch die Umweltgeschichte einschränken mag, vgl.<br />

Fellmann: <strong>Natur</strong>, S. 75. Allerdings muss auch auf die Gefahr eines naturalistischen Fehlschlusses<br />

hingewiesen werden, wenn beispielsweise ein Eigenrecht der <strong>Natur</strong> <strong>als</strong> Grundlage historischer Werturteile<br />

angenommen wird, vgl. Radkau, J.: Was ist Umweltgeschichte?, in: Abelshauser, W. (Hg.): Umweltgeschichte.<br />

Umweltverträgliches Wirtschaften in historischer Perspektive, Göttingen 1994,<br />

S. 14-16.

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