Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Anke Fischer-Kattner<br />
Reisende mit einer detaillierten Vorbildung <strong>als</strong> neue ‚philosophical travellers‘ 17 auf<br />
den Weg, um die Wissenschaften ihrer Zeit mit verlässlichen Informationen zu<br />
versorgen. Die Überschreitung der durch alte Vorurteile, ‚Ammenmärchen‘ oder<br />
unsichere Aussagen gesetzten Grenzen des Wissens war somit Teil der Zielvorstellung<br />
neuer, gesicherter Erkenntnis. Zugleich war es aber notwendig, dass die<br />
Reisenden und ihre gelehrten Leser die neuen Erfahrungen in das bestehende Wissens-<br />
bzw. Sinnsystem einordneten, das dem Einzelnen für seine Handlungen<br />
ebenso wie der Gesamtgesellschaft Halt gab, auch wenn damit teilweise Modifikationen<br />
notwendig wurden.<br />
Im Folgenden wird anhand konkreter Textbeispiele die Dynamik untersucht,<br />
die sich aus der irritierenden Wahrnehmung des Neuen, des Unbekannten, und der<br />
einordnenden Verarbeitung solcher Erfahrungen ergab. Ausschnitte aus den publizierten<br />
Reiseberichten von Mungo Park, Dixon Denham und Heinrich Barth über<br />
ihre Erlebnisse in Westafrika sollen zeigen, wie ‚wissenschaftliche‘ Reisende mit<br />
dem Einbrechen der afrikanischen <strong>Natur</strong> in ihr Reiseerlebnis, mit den daraus resultierenden<br />
<strong>Grenzerfahrung</strong>en, erzählerisch umgingen. Dabei erweist sich <strong>als</strong> zentral,<br />
dass die Eckpunkte des Dreiecksverhältnisses zwischen ‚<strong>Natur</strong>‘, erlebendem ‚Subjekt‘<br />
und gesellschaftlich geprägtem ‚Sinn‘ nicht getrennt voneinander betrachtet<br />
werden können. Die ‚Grenzen‘, an die die europäischen Reisenden im Verlauf ihrer<br />
Begegnung mit Afrika stießen, waren vielfältig: Begrenzend und ‚natürlich‘ konnten<br />
ebenso Schwierigkeiten mit dem Klima, mit der Landschaft oder mit Krankheiten<br />
wie ‚Grenzen‘ zwischen Herrschaftsgebieten oder ‚Stämmen‘ wirken. Wie die Sinnzuschreibungen<br />
zu solchen ‚Grenzen‘ sich unterschieden und sich im Laufe der<br />
Zeit wandelten, will ich hier untersuchen. Den Begriff der ‚<strong>Natur</strong>‘ verwende ich im<br />
Folgenden analytisch für die nicht-menschliche Umwelt auf der Entdeckungsreise.<br />
Diese Verwendung ist nicht deckungsgleich mit dem <strong>Natur</strong>verständnis der Reiseberichte,<br />
das jeweils anhand einiger Beispiele für ihren Gebrauch der Vokabel umrissen<br />
wird. Beide Aspekte stehen jedoch, wie sich zeigen wird, in einem Zusammenhang,<br />
dessen Erkundung den heutigen Leser auf eine Entdeckungsreise in das<br />
unvertraute, fremde Terrain historischer Wahrnehmung führt.<br />
3 Erste Vorstöße in Westafrika: Die African Association und<br />
Mungo Park<br />
Im Zuge der ‚zweiten Welle‘ europäischer Entdeckungsreisen, die nach der<br />
Erschließung des Atlantiks europäische Seefahrer wie Bougainville und Cook in<br />
17 So ist es kein Zufall, dass der Franzose Michel Adanson, der zwischen 1749 und 1754 die Besitzungen<br />
der französischen Handelskompanien im Senegal besucht und dabei einen kleinen Vorstoß<br />
ins Hinterland unternommen hatte, 1759 in der englischen Übersetzung seines Reiseberichts <strong>als</strong> erster<br />
‚ernsthaft‘ naturgeschichtlich interessierter Afrikareisender präsentiert wurde: Adanson, M.: A voyage to<br />
Senegal, the isle of Goree, and the river Gambia [...]. Translated from the French. With notes by an English gentleman,<br />
[…], London 1759, S. X.