Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Zur Wahrnehmung und Bewältigung städtischer Wasserkrisen im späten 19. Jh.<br />
leg. Bei sehr hohen und niedrigen Temperaturen war des Weiteren die Leistungsfähigkeit<br />
der Wasserräder eingeschränkt. Erschwerend kamen Missstände bei der<br />
Entsorgung von Abwässern, Abfällen und Fäkalien hinzu: Der Abwässer entledigte<br />
man sich gerne, indem man sie auf ungepflastertem Areal versickern ließ. Über<br />
vereinzelt angelegte Kanäle und Rinnen gelangten aber mitunter auch Abfälle und<br />
Exkremente in Oberflächengewässer. Keine Seltenheit war es, Abwässer, Abfälle<br />
und Exkremente ohne Umweg – und auch hier ohne Rücksicht auf etwaige Unteranlieger<br />
– über einen Kanal in einem Fluss, Bach oder See zu „entsorgen“. Von<br />
Nachteil für die traditionelle Wasserversorgung erwies sich oft das WC, dessen<br />
langsame Popularisierung im 19. Jahrhundert einsetzte. In den über ein WC verfügenden<br />
Haushalten stieg der Wasserverbrauch ebenso rasch wie die anfallende<br />
Abwassermenge. Letzteres wiederum verstärkte die bereits bestehenden Entsorgungsprobleme<br />
ungemein. Zur Aufnahme von Haushaltsabwässern und Fäkalien<br />
vorhandene Abortgruben waren vielfach in einem schlechten baulichen Zustand,<br />
weswegen Grubeninhalte ins Erdreich und damit ins Grund- und somit ins Trinkwasser<br />
gelangten. Aufgrund finanzieller Überlegungen verzichteten Hauseigentümer<br />
oftm<strong>als</strong> darauf, ihre Gruben regelmäßig leeren zu lassen. Eine aus Sicht der<br />
Verwaltung unliebsame Eigeninitiative legten Immobilienbesitzer an den Tag,<br />
wenn sie ihre Grubenabwässer absichtlich ins Erdreich ablaufen ließen oder ihre<br />
Gruben eigenmächtig an die häufig schon überlasteten Kanäle anschlossen. 29<br />
Die Beeinträchtigung der örtlichen Wasserversorgung durch diese Entsorgungspraktiken<br />
blieb den Zeitgenossen nicht verborgen. Mit Hilfe von Ge- und<br />
Verboten, An- und Verordnungen bemühte man sich darum, wenigstens den<br />
gröbsten Mängeln Einhalt zu gebieten. Doch auch die „vor-Pettenkofer’schen<br />
Miasmatiker“, die Gestank <strong>als</strong> ein die Gesundheit gefährdendes Symptom interpretierten<br />
und daher auf dessen Vermeidung abzielten, vermochten es in der Regel<br />
nicht Abhilfe zu schaffen. Ausschlaggebend hierfür war vielleicht weniger der konkurrierende<br />
Geltungsanspruch der Kontagionisten <strong>als</strong> der Fokus der Miasmatiker:<br />
Ihr Interesse richtete sich vorrangig darauf, ein Stagnieren von verschmutztem<br />
Wasser zu vermeiden. Die eigentliche Verschmutzung wurde da hintangesetzt.<br />
Eingedenk des bis wenigstens in die 1890er Jahren währenden Nebeneinanders<br />
von Kontagionismus und Miasmenlehre ist fernerhin daran zu erinnern, dass diese<br />
beiden Ansätze umstritten waren, weil sich mit ihnen nicht alle Fragen schlüssig<br />
und zufriedenstellend beantworten ließen. Diese Unentschiedenheit bzw. wissenschaftliche<br />
Koexistenz war denn auch lange der Bereitschaft städtischer Verwaltungen<br />
abträglich, sich im Alltag auf dem Gebiet der Stadthygiene über ein das<br />
Minimum hinausreichendes Maß zu betätigen. 30 Dass der oben zitierte Appell des<br />
„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ aus dem Jahr 1873 den-<br />
29 Weiterführende Quellen- und Literaturhinweise in: Stippak: Wasserversorgung, Kap. 2 (Anm. 2).<br />
30 Ebd. Siehe auch: Hardy, A. I.: Ärzte, Ingenieure und städtische Gesundheit. Medizinische Theorien in der<br />
Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. / New York 2005, Kap. 3, 4, 9.<br />
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