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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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194<br />

6 <strong>Grenzerfahrung</strong>en und die Perspektive historischer<br />

Entwicklung<br />

Anke Fischer-Kattner<br />

Es bleibt unbestreitbar, dass mit Heinrich Barth und anderen Entdeckungsreisenden<br />

um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Umbruch in der Wahrnehmung Afrikas<br />

und seiner <strong>Natur</strong> stattfand. Die Strategie der ‚sammelnden Anhäufung‘ von Informationen,<br />

der ‚alles erfassenden‘ Konstruktion von Wissen hatte den Europäern<br />

einen neuen ‚Überblick‘ gebracht. Dieser fand seinen Ausdruck in der Karte, die<br />

der New Yorker Ausgabe von Barths Reisebericht beigegeben war: Barths Reisewege<br />

waren hier auf einem Bild des afrikanischen Kontinents eingezeichnet, auf<br />

dem auch die Strecke von Livingstones gerade absolvierter Route durch das südliche<br />

Afrika zu sehen war. 91 Die Zusammenarbeit europäischer Entdeckungsreisender<br />

bei der ‚wissenschaftlichen Erschließung‘ des afrikanischen Kontinents trat<br />

visuell noch eindrücklicher auf der 1873 von William Winwood Reade veröffentlichten<br />

‚Map of African Literature‘ (Abb. 2) hervor: In den Umrissen des afrikanischen<br />

Kontinents und seiner größten Flüsse füllen die Namen europäischer Reiseberichtsautoren<br />

das jeweils von ihnen beschriebene Gebiet: Park, Barth und<br />

Denham ‚okkupieren‘ dabei den Lauf des Nigers und die Umgebung des Tschadsees.<br />

Hingegen fehlen Orte, die mit lokaler Erfahrung oder gar der einheimischen<br />

Wahrnehmung in Verbindung gebracht werden könnten, fast vollständig. 92<br />

Eine derartig vollständige Verdrängung kennzeichnete sicher nicht die eigene<br />

Wahrnehmung dieser Reisenden. Dennoch zeigt der Vergleich von Barths Bericht<br />

mit denen seiner Vorgänger, dass seine sprachlichen Sinnstiftungsstrategien den<br />

Übergang zu einer neuen <strong>Natur</strong>- und <strong>Grenzerfahrung</strong> markierten. Das lange vorbereitete<br />

Zusammenführen von Informationen sowie die Möglichkeit gegenseitiger<br />

Bestätigung oder Widerlegung schuf etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein<br />

Sinnsystem der ‚Überschaubarkeit‘ der <strong>Natur</strong>. Individuell gesetzte Grenzen lösten<br />

sich darin zu grundsätzlicher Kontrollierbarkeit auf.<br />

Das gemeinsame europäische Projekt der ‚wissenschaftlichen‘ Kontrolle über<br />

den afrikanischen Kontinent verschob dessen innere Grenzen des ‚Unerforschten‘<br />

immer weiter und ließ sie so selbst bereits klar und vollständig erfassbar erscheinen.<br />

Eine solche Wahrnehmung bot europäischen Reisenden eine größere psychologische<br />

Sicherheit für ihren Umgang mit dem ‚Einbrechen‘ der <strong>Natur</strong>. Zugleich<br />

bewirkte sie aber auch oft die ‚Verhärtung‘ von Wissensbeständen 93 zu nicht mehr<br />

91 Der Verlag Harper and Brothers, der Barths Bericht in New York herausgab, veröffentlichte auch<br />

die amerikanische Ausgabe von Livingstones ‚Missionary Travels‘ <strong>als</strong> Livingstone, D.: Missionary<br />

Travels and Researches in South Africa; […], New York 1858.<br />

92 Winwood Reade war 1868 selbst zu einer Entdeckungsreise nach Westafrika aufgebrochen, über<br />

die in den ‚Proceedings‘ der Royal Geographical Society berichtet wurde.<br />

93 Das Konzept des ‚verhärteten‘ Wissens – im Gegensatz zu ‚offenem‘ – entnehme ich der Wissenssoziologie<br />

Walter Bühls: Bühl, W. L.: Die Ordnung des Wissens, Berlin 1984.

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