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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Monika Gisler<br />

gelegt. Dennoch: Nur wenige schriftlichen Zeugnisse – und keine einzige bildliche<br />

Darstellung – dokumentieren dieses Ereignis. 5 Nur etwa die Ausbrüche des Vesuvs<br />

in den Jahren 1631 und 1774 und das Erdbeben von Lissabon 1755 haben einen<br />

ebenso bedeutenden literarischen Niederschlag gefunden.<br />

Die ungleich grössere Aufmerksamkeit, die dem Bergsturz von Goldau zuteil<br />

kam, hat – so meine These – mit dem sich wandelnden Bild von <strong>Natur</strong> und Landschaft<br />

im Kontext des sich etablierenden Helvetismus im 18. Jahrhundert zu tun.<br />

Zu diesem jahrzehntelangen Vorgang einer allgemeinen Ästhetisierung der <strong>Natur</strong><br />

gehören neben der Gebirgsforschung Johann Jakob Scheuchzers ebenso das berühmte<br />

Alpengedicht Albrecht von Hallers; es gehören dazu die <strong>Natur</strong>forschungen<br />

des Waadtländer Geistlichen Elie Bertrand, die Patriotischen Träume von Franz Urs<br />

von Balthasar (1758), die Idyllen Salomon Gessners (1762) sowie sein Brief über die<br />

Landschaftsmalerei (1770), es gehört dazu Rousseaus Nouvelle Héloise (1761) und<br />

später dann noch Schillers Drama Wilhelm Tell (1804). Die Alpen und ihre Bewohner<br />

gewannen aus literarischer, naturwissenschaftlicher, historischer, anthropologischer<br />

und gesellschaftskritischer Perspektive allgemeines Interesse. 6 Etwas<br />

später wurden sie dann auch zum Gegenstand der Malerei und des kolorierten<br />

Stichs. Alpenansichten waren beim Publikum so beliebt, dass eigentliche Schulen<br />

für Schweizer Landschaftsmalerei entstanden: vorromantisch idealisierend im<br />

18. Jahrhundert diejenige von Caspar Wolf und Johann Ludwig Aberli. Dieser<br />

unter dem Begriff Helvetismus in die Literatur eingegangene Prozess – Ulrich Im<br />

Hof hat sich wohl am ausführlichsten damit befasst – beschreibt eine semantische<br />

Verschiebung hin zu einem zunehmend idealisierten Bild der Schweiz (in dem<br />

notabene auch die Waadtländer, Neuenburger, Mülhausener und Genfer <strong>als</strong><br />

gleichberechtigte Bürger galten). Diese Mythologisierung des Landes manifestierte<br />

sich des Weiteren in der 1761 gegründeten Helvetischen Gesellschaft wie auch in<br />

den Mitte des Jahrhunderts gegründeten <strong>Natur</strong>forschenden Gesellschaften zur<br />

Unterstützung schweizerischer <strong>Natur</strong>forschung.<br />

Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt sich denn auch eine zunehmende<br />

Schweiz- und Alpenbegeisterung etwa bei den deutschen Dichtern feststellen.<br />

7 Damit einher ging ein verstärktes Interesse an Reisen in und durch die<br />

Schweiz – der Tourismus war endgültig geboren. Literarische und bildlichästhetische<br />

Arbeiten ergänzten im Laufe des 18. Jahrhunderts solche Bemühungen,<br />

die es schliesslich möglich machten, das Ereignis am Rossberg im Zuge einer<br />

Ästhetisierung der Wahrnehmung von <strong>Natur</strong> und Landschaft schillernd darzustellen<br />

– und die dann in der zweiten Jahrhunderthälfte wiederum eine eigentliche<br />

Schweiz- und insbesondere Alpenbegeisterung auslösten.<br />

5 Andrey, G. u. a.: L’incendie de Bulle en 1805. Ville détruite, ville reconstruite, Bulle 2005.<br />

6 Hentschel, U.: Mythos Schweiz. Zum deutschen Philhelvetismus zwischen 1700 und 1850, Tübingen 2002;<br />

Reichler, C.: La découverte des Alpes et la question du paysage, Chêne-Bourg 2002, S. 55–80.<br />

7 Hentschel: Mythos.

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