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Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag

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(B)<br />

Vizepräsidentin Petra Pau<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011 15337<br />

(A) Nachdem die erforderlichen Umgruppierungen im (Michael Frieser [CDU/CSU]: Falsch! Sie (C)<br />

Saale nun vorgenommen worden sind, eröffne ich hier-<br />

wissen, dass das falsch ist!)<br />

mit die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Memet<br />

Kilic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.<br />

Auch Arbeitsgerichte sind in Deutschland immer noch<br />

verpflichtet, ihre Daten an die Ausländerbehörde zu<br />

übermitteln, Herr Kollege.<br />

Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):<br />

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten<br />

Damen und Herren! Viele von Ihnen werden die Situation<br />

kennen: Sie sind ein Vater oder eine Mutter, und Ihr<br />

Kind ist krank. Sie wissen nicht, was es hat, aber es<br />

scheint ihm sehr schlecht zu gehen. Ein furchtbares Gefühl!<br />

Der erste und richtige Impuls ist natürlich, das<br />

Kind sofort in die nächste Arztpraxis oder ins Krankenhaus<br />

zu bringen.<br />

Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland sehen<br />

von Arzt- und Krankenhausbesuchen ab, bis es nicht<br />

mehr anders geht. Verschleppung von Krankheiten und<br />

schwerwiegende Schäden können die Folge sein. Und<br />

die Bundesregierung macht bis heute keinerlei Anstalten,<br />

an diesen empörenden Zuständen etwas zu ändern.<br />

Menschen ohne Aufenthaltsstatus müssen in Deutschland<br />

in ständiger Angst leben. Bei jedem Kontakt mit öffentlichen<br />

Stellen gehen sie ein hohes Risiko ein, als sogenannte<br />

Illegale identifiziert zu werden. Diese<br />

Menschen sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben<br />

in unser Land gekommen. Werden sie entdeckt, schiebt<br />

man sie ab. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass ihnen<br />

auch noch der Zugang zu grundlegenden Menschenrechten<br />

erschwert oder unmöglich gemacht wird.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD)<br />

Besonders Kinder und Jugendliche ohne Aufenthaltsstatus<br />

können nichts für ihre Situation und sind besonders<br />

schutzbedürftig. Ihnen dürfen grundlegende Menschenrechte<br />

nicht verwehrt werden.<br />

(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Aber Herr<br />

Kilic, das wissen Sie doch besser! Sie helfen<br />

doch den Leuten überhaupt nicht mit solchen<br />

Reden!)<br />

Die Aufhebung der Übermittlungspflichten für die Träger<br />

von Schulen und Tageseinrichtungen war ein Schritt<br />

in die richtige Richtung, liebe Kollegin Vogelsang. Da<br />

für den Kindergartenbesuch aber Leistungen nach dem<br />

Kinder- und Jugendhilfegesetz erforderlich sind, muss<br />

die Bundesregierung statuslosen Kindern endlich auch<br />

Zugang zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe<br />

verschaffen. Sonst bleibt dies Augenwischerei.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD – Josef<br />

Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />

NEN]: Da hat er recht, das habt ihr vergessen!)<br />

Auch die Umsetzung der EU-Sanktionsrichtlinie liegt<br />

haarscharf daneben. Würden diese Menschen vor Gericht<br />

gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen klagen<br />

oder ausstehenden Lohn einfordern, wenn Abschiebung<br />

die sichere Folge ist?<br />

(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das soll<br />

auch so bleiben!)<br />

Die Umsetzung der Richtlinie ist hier zur Farce geraten.<br />

Es ist doch geradezu töricht, nicht zu erkennen, dass die<br />

Streichung der Übermittlungspflicht auch eine sehr<br />

wirksame, nämlich eine wirtschaftliche Waffe gegen<br />

Schwarzarbeit wäre.<br />

Eines Rechtsstaats unwürdig und schlichtweg ein<br />

Skandal ist auch die Tatsache, dass humanitär motivierte<br />

Hilfe für diese Menschen hierzulande immer noch<br />

strafbar ist. Vor genau einer Woche stand Papst<br />

Benedikt XVI. hier an dieser Stelle. Auch in Erinnerung<br />

an dieses wichtige Ereignis möchte ich die Bundesregierung<br />

ermahnen, sich das Gebot der christlichen Nächstenliebe<br />

ins Bewusstsein zu rufen.<br />

(Michael Frieser [CDU/CSU]: Aber Herr Kollege,<br />

jetzt geht es zu weit!)<br />

Es kann nicht sein, dass sich Menschen in Deutschland<br />

strafbar machen, wenn sie dieses Gebot ernst nehmen<br />

und ihren Nächsten aus humanitären Gründen im Rahmen<br />

ihres Berufs oder aus privatem Engagement heraus<br />

mit Rat und Tat zur Seite stehen, auch wenn ihre Nächsten<br />

keinen Aufenthaltsstatus haben.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-<br />

KEN)<br />

An allen diesen Punkten setzt unser Gesetzentwurf<br />

an. Er ist geeignet, Menschen ohne Aufenthaltsstatus in<br />

Deutschland die Angst vor der Wahrnehmung ihrer<br />

Grundrechte zu nehmen, indem er die Übermittlungspflichten<br />

für die öffentlichen Stellen, die der Gefahrenabwehr<br />

oder der Strafpflege dienen, so belässt, im Übrigen<br />

aber abschafft. Der Entwurf steht nicht im<br />

Widerspruch zu der Pflicht des Staates, illegale Einwanderung<br />

und illegalen Aufenthalt zu bekämpfen. Durch<br />

ihn wird auch der Rechtsstaat nicht gefährdet. Ganz im<br />

Gegenteil: Er verschafft Menschen ohne Aufenthaltsstatus<br />

Zugang zu ihren Grund- und Menschenrechten.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Mensch ist illegal,<br />

und kein Mensch darf sich in Deutschland nach<br />

dem Gesetz in einer Lage befinden, in der er Angst davor<br />

haben muss, zum Arzt zu gehen, seine Kinder in die<br />

Schule zu schicken oder vor Gericht gegen ausbeuterische<br />

Arbeitsbedingungen zu klagen. Stimmen Sie bitte<br />

für unseren Gesetzentwurf, und tun Sie etwas Gutes.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD)<br />

(D)

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