Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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15398 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A)<br />
Pascal Kober<br />
men und die jeweiligen Elternteile mit ihrem jeweiligen Kinder in Patchworkfamilien nicht garantiert werden, (C)<br />
Einkommen berücksichtigen müssten. Dies lehnt die weder die Existenzsicherung des nicht leiblichen Kindes<br />
FDP ab.<br />
einer Mutter oder eines Vaters noch die Existenzsicherung<br />
der leiblichen Kinder einer Mutter oder eines Va-<br />
Katja Kipping (DIE LINKE):<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung<br />
zu den Hartz-IV-Regelsätzen festgestellt:<br />
ters, weil die ausgezahlten Transferleistungen in der Bedarfs-<br />
bzw. Einsatzgemeinschaft nun für alle Kinder in<br />
der Patchworkfamilie reichen müssen.<br />
„Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistun- Das Bundessozialgericht, BSG, hat in einer Entscheigen<br />
des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren dung vom 13. November 2008 (B 14 AS 2/08) die Rege-<br />
Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfelung zwar als verfassungskonform eingeschätzt, der Gebedürftigen<br />
gewährleistet ist.“ (BVerfG 1 BvL 1/09 vom setzgeber dürfe typisierend unterstellen, dass der neue<br />
9. Februar 2010, Absatznummer 136). Ein hilfebedürfti- Partner auch die Verantwortung für die Kinder mit<br />
ges Kind in einer Patchworkfamilie hat keine einklagba- übernehme. Die Frage, ob aufseiten des neuen Partners<br />
ren Rechte gegenüber der neuen Partnerin oder dem eine solche Bereitschaft und Fähigkeit besteht, hat das<br />
neuen Partner der leiblichen Mutter oder des leiblichen BSG ebenso wenig als verfassungsrechtlich problema-<br />
Vaters. Insofern stellt die generelle Unterstellung einer tisch angesehen wie die Frage, ob eine finanzielle Un-<br />
Unterstützung durch den Stiefelternteil einen verfasterstützung tatsächlich stattfindet. Diese Argumentation<br />
sungsrechtlich unzulässigen Verweis auf „freiwillige ist jedoch nicht überzeugend. Die entscheidende Frage,<br />
Leistungen“ Dritter dar. Das nicht leibliche Kind ginge nämlich, wie die Existenzsicherung des Kindes garan-<br />
in einem Rechtsstreit leer aus, weil es gar keinen Rechtstiert werden kann, wird durch das Bundessozialgericht<br />
anspruch auf Leistungen von dem Stiefelternteil hat. nicht befriedigend beantwortet.<br />
Auch die denkbare Alternative eines Auszugs steht dem<br />
unter 25 Jahre alten Nachwuchs aufgrund der rechtlichen<br />
Einschränkungen nur bedingt offen. Damit wird<br />
gegen das Grundrecht des Kindes auf ein menschenwürdiges<br />
Existenzminimum verstoßen. Diese verfassungswidrige<br />
Gesetzeslage ist schnellstmöglich zu korrigieren.<br />
Aktuell liegt die Verfassungsbeschwerde eines betroffenen<br />
Kindes beim Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung<br />
vor (1 BvR 1083/09). Der Gesetzgeber sollte<br />
sich nicht seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Gewährleistung<br />
des Existenzminimums entziehen und auf<br />
das Urteil warten. Es liegt in der Hand des Bundesgesetzgebers,<br />
die Sicherungslücken zu schließen und ver-<br />
Hartz IV stigmatisiert, diskriminiert, es verletzt<br />
grundlegende Grundrechte bei der Gewährung der<br />
fassungskonforme Regelungen zu schaffen. Dies sollte<br />
umgehend geschehen.<br />
(B) Existenz- und Teilhabesicherung. Hartz IV legt Menschen<br />
Unterhaltsverpflichtungen auf, die jeder zivilrechtlichen<br />
Grundlage entbehren. Dies ist ein unhaltbarer<br />
Zustand. Wenn Menschen keine unterhaltsrechtlichen<br />
Verpflichtungen eingegangen sind, so darf<br />
durch das Sozialrecht nicht das Gegenteil unterstellt und<br />
erzwungen werden. Gegen dieses Prinzip verstößt die<br />
Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft im Zweiten Buch<br />
Sozialgesetzbuch, SGB II. Durch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz<br />
von 2006 wird festgeschrieben, dass<br />
Kinder in Patchworkfamilien zur Bedarfsgemeinschaft<br />
gehören. Seitdem gilt sowohl für verheiratete als auch<br />
für nicht verheiratete Paare: Die Anrechnung von Ein-<br />
Auch jenseits der verfassungsrechtlichen Bewertung<br />
ist ein dringender Handlungsbedarf gegeben. Denn die<br />
derzeitigen sozialrechtlichen Regelungen stellen massive<br />
Hürden für neue Partnerschaften und Familiengründungen<br />
dar. Neuerliche Partnerschaften und Familiengründungen<br />
werden für Leistungsberechtigte mit<br />
Kindern faktisch mit Leistungsentzug sanktioniert.<br />
Diese unhaltbare Rechtslage ignoriert den sozialen<br />
Wandel hin zu vermehrten Patchworkfamilien. Auch im<br />
Sinne einer menschlichen und solidarischen Gesellschaft<br />
sind die Barrieren und Hürden für die Gründung<br />
neuer Partnerschaften und Familien abzubauen.<br />
(D)<br />
kommen und Vermögen findet grundsätzlich und immer Die Fraktion Die Linke beantragt aus genannten<br />
statt. Es bleibt unberücksichtigt, ob und inwieweit eine Gründen, das Grundrecht auf Gewährleistung des Exis-<br />
finanzielle Unterstützung tatsächlich stattfindet. tenzminimums von Kindern in Patchworkfamilien gesetzlich<br />
zu garantieren. Diese Garantie gilt unabhängig<br />
von der Frage, ob das neue Paar verheiratet ist. Zu diesem<br />
Zweck soll eine Regelung im SGB II und im SGB XII<br />
eingeführt werden, nach der Einkommen und Vermögen<br />
der neuen Partnerin oder des neuen Partners des Elternteils<br />
bei der Bedarfsermittlung des nicht leiblichen<br />
Kindes nicht zu berücksichtigen sind.<br />
Etwas anders gelagert ist die Situation im SGB XII.<br />
Hier wird im Unterschied zum SGB II eine Bedarfsdeckung<br />
des soziokulturellen Existenzminimums durch die<br />
Partnerin bzw. den Partner des leiblichen Elternteils unter<br />
Berücksichtigung von Freibeträgen ebenfalls unterstellt,<br />
allerdings widerlegbar. Diese sozialrechtliche Unterstellung<br />
ist in der Praxis aber nur schwer<br />
zurückzuweisen. Stellen Sie sich vor, ein Kind soll vor<br />
Gericht aussagen, dass der verdienende Partner seiner<br />
Mutter, zum Beispiel sein Stiefvater, nicht ausreichend<br />
Geld für alle gibt, speziell für das nicht leibliche Kind<br />
selbst.<br />
Fakt ist: Mit den sozialrechtlichen Konstruktionen im<br />
SGB II und im SGB XII kann die Existenzsicherung der<br />
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):<br />
Die Fraktion Die Linke bringt mit dem vorliegenden<br />
Antrag eine Forderung in den Deutschen <strong>Bundestag</strong> ein,<br />
die wir von Bündnis 90/Die Grünen nur unterstützen<br />
können. Schon in der vergangenen Wahlperiode haben<br />
wir einem inhaltsgleichen Antrag der Fraktion (Drucksache<br />
16/9490) zugestimmt. Es ist völlig inakzeptabel,<br />
Zu Protokoll gegebene Reden