Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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(B)<br />
15240 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A)<br />
Dr. Diether Dehm<br />
Ich weiß nicht, ob Herr Brüderle noch anwesend ist. Inge Höger (DIE LINKE):<br />
(C)<br />
Er verbreitet sich ja gelegentlich in Interviews darüber,<br />
dass der Druck auf die Griechen weiter verschärft werden<br />
muss. Aber richten Sie bitte den Blick auf die Konsequenzen:<br />
Die Streichung von 174 000 Stellen im öffentlichen<br />
Dienst bis Ende dieses Jahres, wie es die<br />
griechische Regierung vorhat, und zwar 84 000 letztes<br />
Jahr und 90 000 dieses Jahr, entspräche in Deutschland<br />
dem Statistischen Bundesamt zufolge der Streichung<br />
von 917 000 Stellen im öffentlichen Dienst.<br />
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lehne<br />
die Ausweitung und Stärkung des sogenannten EU-Rettungsschirmes<br />
ab. Das Gesetz ist eine schlechte Nachricht<br />
für die Menschen in Europa. Es ist eine schlechte<br />
Nachricht für die Beschäftigten in Griechenland. Sie sollen<br />
dank der EU-Auflagen künftig noch weniger Geld in<br />
der Tasche haben, dafür aber länger arbeiten – wie irrwitzig!<br />
Es ist eine schlechte Nachricht für Griechenlands<br />
Rentnerinnen und Rentner. Auch sie sollen für eine<br />
Die Kürzung der Sozialausgaben in Griechenland, die<br />
Krise zahlen, die sie nicht verursacht haben.<br />
Sie verordnen, entspricht 1,5 Prozent des griechischen<br />
BIP. Auf Deutschland übertragen entspräche das<br />
131,8 Milliarden Euro, also fast einem Viertel der im<br />
Einzelplan für Arbeit und Soziales veranschlagten Ausgaben.<br />
Den Beschäftigen des öffentlichen Dienstes droht nun<br />
Arbeitslosigkeit. Und die Menschen in Griechenland, die<br />
auf öffentliche Daseinsvorsorge angewiesen sind, sind<br />
die Leidtragenden dieses ungerechten Krisenmanagements.<br />
Ich denke zum Beispiel an kranke Menschen, die<br />
Unter den europäischen Völkern zählen die Deutschen<br />
gewiss eher zu den duldsamen. Aber mit diesen<br />
Kürzungen würden Sie auch in diesem Land ein Pulverfass<br />
anrühren.<br />
es sich nicht leisten können, die hohen Kosten in privatisierten<br />
Krankenhäusern zu tragen. Der Rettungsschirm<br />
sieht nämlich weitere Privatisierungen vor. Das ist auch<br />
eine schlechte Nachricht für die Studierenden, die sich<br />
keine Studiengebühren leisten können. Zweiklassenbildung,<br />
Zweiklassenmedizin, Zweiklasseneuropa!<br />
Das alles geschieht, ohne die Ackermänner und Großprofiteure<br />
der Krise in Deutschland und die Jachtbesitzer<br />
in Griechenland zur Steuerkasse zu bitten.<br />
(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann<br />
[FDP])<br />
Ich denke, auch der soziale Frieden ist ein Wirtschaftsfaktor.<br />
Jedenfalls wurde das an diesem Rednerpult in der<br />
Vergangenheit oft gesagt.<br />
Wo der Staat seine in Art. 20 unseres Grundgesetzes<br />
verbriefte Sozialstaatlichkeit aufgibt, verspielt er das<br />
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und nährt die<br />
Rechtspopulisten, die sich europaweit in einem einzigen<br />
Siegeszug wähnen. Die deutsche und griechische Politik<br />
verwalten den Mangel. Überall wird gekürzt. Aber die<br />
europäischen Banken haben allein in diesem Jahr bereits<br />
Dividenden in Höhe von 40 Milliarden Euro ausgeschüttet.<br />
Die Großzocker werden weder gezähmt noch reguliert<br />
noch gerecht zur Kasse gebeten. Eine echte Gläubigerbeteiligung<br />
findet nicht statt. Bei der Deutschen Bank<br />
ist bei einem gesamten Bilanzvolumen von 2 000 Milliarden<br />
Euro nur ein hartes Eigenkapital von 30 Milliarden<br />
Euro vorhanden. Das entspricht nicht dem, was wir<br />
uns von der Aufstockung des Eigenkapitals erwartet haben.<br />
Dieser unsozialen und ungerechten Politik, die nicht<br />
zugunsten der Opfer, sondern zugunsten der Ackermänner<br />
und anderer Täter auf dem Rücken der Bürgerinnen<br />
und Bürger ausgetragen wird, kann ich nach bestem<br />
Wissen und Gewissen meine Stimme nicht geben.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:<br />
Die nächste mündliche Erklärung gibt Inge Höger ab.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Das alles gilt letztendlich nicht nur für Griechenland,<br />
sondern übt auch Druck auf andere EU-Länder aus. Ich<br />
frage die Abgeordneten, die dafür gestimmt haben: Wissen<br />
Sie eigentlich, was Sie da anrichten? Ich befürchte,<br />
einige von Ihnen wissen es. Der EU-Rettungsschirm ist<br />
eine gute Nachricht für die europäischen Eliten, eine<br />
gute Nachricht für die Konzerne und Banken, die an<br />
Griechenland Kredite vergeben haben, denn sie können<br />
weiter ungehindert Geschäfte machen – ich denke da besonders<br />
an die deutsche Rüstungsindustrie –, eine gute<br />
Nachricht für Europas Spekulanten, denn sie können<br />
weiter zocken in dem Vertrauen, dass es eine EU gibt,<br />
die für ihren Schaden aufkommt. Zahlen müssen wieder<br />
die kleinen Leute. Ich kann nur hoffen, dass die Proteste<br />
und Streiks in Griechenland und anderswo so viel wie<br />
möglich von dem verhindern, was Sie heute beschlossen<br />
haben.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Ihre Euro-Rettung ist auch eine gute Nachricht für<br />
diejenigen, die die Menschen in Europa gegeneinander<br />
aufbringen wollen; denn das Problem sind nicht in erster<br />
Linie die griechischen Staatsfinanzen. Schließlich sind<br />
andere Staaten auch hoch verschuldet. Das Problem ist<br />
vielmehr die Finanzmarktliberalisierung, die Rot-Grün<br />
2004 eingeführt hat. Sie lenken von dieser gescheiterten<br />
Politik im Interesse der Ackermänner ab. Sie machen die<br />
Griechinnen und Griechen zu Sündenböcken und geben<br />
damit Anlass für rassistische Hetzkampagnen. Sie spielen<br />
damit Faschisten und Nazis in die Hände. Was das<br />
mit Völkerverständigung, Solidarität oder europäischer<br />
Integration zu tun haben soll, soll mir mal einer erklären.<br />
Ich kann nur wiederholen, was in den Reihen der europäischen<br />
Linkspartei in diesen Tagen des Öfteren gesagt<br />
wird: Die EU wird entweder demokratisch, sozial<br />
und solidarisch werden, oder sie wird nicht bestehen.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
(D)