Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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15246 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A)<br />
Dr. Matthias Zimmer<br />
arbeitsmarktpolitische Wirkung habe. Das IAB hingegen anbietet. Die modernen Arbeitsnomaden mit befristeten (C)<br />
hat die sachgrundlose Befristung nicht negativ evaluiert. Verträgen werden nicht sesshaft, und sie haben nur eine<br />
Es stellt zwar eine Ambivalenz zwischen Brücken- und begrenzte Bindung zum Arbeitgeber. Sosehr ich den<br />
Flexibilisierungsfunktion befristeter Beschäftigung fest, Wunsch nach Flexibilität verstehen kann, tut sich hier<br />
kommt jedoch auch zu dem Ergebnis, dass befristet Be- doch eine Rationalitätenfalle auf: Je mehr Flexibilität ich<br />
schäftigte nicht unbedingt schlechte Chancen auf eine in einem Unternehmen anstrebe, desto bindungsloser<br />
Entfristung ihres Arbeitsverhältnisses haben.<br />
sind meine Mitarbeiter. Darunter leidet nicht nur das Ar-<br />
(Lachen des Abg. Klaus Barthel [SPD])<br />
beitsklima, sondern auch die Arbeitseffizienz und die<br />
Bereitschaft, für die und in der Firma Verantwortung zu<br />
Wäre ausschließlich die arbeitsmarktpolitische Wirkung übernehmen. Dies wiederum kann betriebswirtschaftlich<br />
der Maßstab, dürfte die sachgrundlose Befristung nicht massiv zu Buche schlagen.<br />
infrage gestellt werden.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und<br />
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!)<br />
der FDP)<br />
Im Übrigen ist – auch dies entnehme ich der Studie Wir haben das Thema der heutigen Debatte vor knapp<br />
des IAB – das subjektive Teilhabeempfinden der Men- einem Jahr im Ausschuss besprochen. Damals standen<br />
schen in befristeter Beschäftigung höher als das bei Ar- wir noch unter dem Eindruck der gerade beendeten Wirtbeitslosigkeit<br />
und auch höher als bei denjenigen, die in schaftskrise. Heute sprechen wir von einem Mangel an<br />
Zeitarbeit stehen. Das würde ich nicht geringschätzen. qualifizierten Arbeitskräften. Innerhalb weniger Monate<br />
Bestimmte Formen der Arbeit können krankmachen;<br />
längere Arbeitslosigkeit aber macht beinahe sicher<br />
hat sich also der Referenzrahmen unserer Debatte vollkommen<br />
geändert.<br />
krank, weil sie das Bewusstsein der Ausgrenzung und Nicht geändert hat sich jedoch meine politische Fan-<br />
der mangelnden Teilhabe forciert.<br />
tasie in dieser Frage. Ich stelle mir eine Arbeitswelt vor,<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
in der die Firmen von sich aus Wert darauf legen, qualifizierte<br />
Mitarbeiter zu halten, weil dies den langfristigen<br />
Wer einmal Paul Lazarsfelds Studie über die Arbeitslo- Firmenzielen entspricht.<br />
sen von Marienthal gelesen hat, weiß, welche verheerenden<br />
individuellen und auch kommunitären Wirkungen<br />
aus der Arbeitslosigkeit erwachsen. Wer vor diesem Hin-<br />
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das gibt es<br />
schon!)<br />
(B)<br />
tergrund das Instrument befristeter Beschäftigung leichtfertig<br />
über Bord werfen will, handelt grob fahrlässig.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
Ich stelle mir eine Arbeitswelt vor, in der Befristungen<br />
nur aus gutem Grund eingesetzt werden, nicht aber, um<br />
Probezeiten zu verlängern oder Belegschaften einfacher<br />
abbauen zu können.<br />
(D)<br />
Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers war es,<br />
einerseits den Arbeitgebern zu ermöglichen, flexibel auf<br />
schwankende Auftragslagen zu reagieren, und anderer-<br />
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das machen die<br />
meisten Unternehmen heute schon!)<br />
seits Arbeitnehmern eine Alternative zur Arbeitslosigkeit<br />
zu bieten und eine Brücke zur Dauerbeschäftigung<br />
zu öffnen.<br />
Ich stelle mir eine Arbeitswelt vor, in der gerade junge<br />
Menschen eine sichere Arbeitsperspektive haben, die es<br />
ihnen erlaubt, Wurzeln zu schlagen und Familien zu<br />
Problematisch wird es dann, wenn es zu Befristungsketten<br />
kommt. Noch ist das Normalarbeitsverhältnis die<br />
gründen. Ich stelle mir vor, dass die SPD einmal zu dem<br />
steht, was sie gemacht hat;<br />
Regel. Allerdings nimmt die Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse<br />
zu.<br />
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der letzte Punkt<br />
wird schwierig! Bei den anderen sieht es schon<br />
(Klaus Barthel [SPD]: Eben!)<br />
gut aus!)<br />
Die Folgen sind unter anderem bei der Lebensplanung aber zumindest das ist nur sehr schwer vorstellbar.<br />
der Menschen zu beobachten. Die Befristung begünstigt<br />
das Aufschieben von Lebensentscheidungen. Daher will<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
ich an dieser Stelle ganz klar sagen: Befristungen dürfen<br />
nur aus gutem Grund eingesetzt werden,<br />
(Klaus Barthel [SPD]: Also nur mit Sachgrund!)<br />
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:<br />
Das Wort hat Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)<br />
nicht als verlängerte Probezeit, nicht als Instrument, Belegschaften<br />
einfacher abzubauen. Befristungen müssen<br />
dosiert eingesetzt werden, damit das Normalarbeitsverhältnis<br />
nach wie vor die Regel bleibt.<br />
Klaus Barthel (SPD):<br />
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />
Erst einmal sage ich an die Adresse der Linken: Ich weiß<br />
nicht, ob Sie uns einen Gefallen damit getan haben, hier<br />
Ich hoffe sehr, dass auch in der Wirtschaft ein Um- eine Stunde lang Erklärungen zur Abstimmung abzugedenken<br />
vonstatten geht. In Zeiten eines Mangels an quaben; denn damit haben Sie dafür gesorgt, dass das<br />
lifizierten Arbeitskräften kann man keine Loyalität zu ei- Thema der Befristung von Arbeitsverhältnissen, das<br />
ner Firma erwarten, die nur befristete Arbeitsverträge viele Menschen bei uns quält, aus der Kernzeit herausge-