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Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag

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15462 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />

(A) – ich zitiere aus der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesren gehen die niedrigsten Einkommen und höchsten Ein- (C)<br />

regierung – „die Erreichung von Generationengerechtigkommen auseinander. Die Mittelschicht schrumpft. Von<br />

keit, sozialem Zusammenhalt, Lebensqualität und Wahr- 2002 bis 2005 schrumpfte das Durchschnittseinkommen<br />

nehmung internationaler Verantwortung zum Ziel der Bürger um fast 5 Prozent. Bei den reichsten 10 Pro-<br />

haben“.<br />

zent aber stiegen die Einkünfte um 6 Prozentpunkte. Bei<br />

Leider lassen sich diese ehrenwerten Ziele nur schwer<br />

nachprüfen. Da kann auch der Parlamentarische Beirat<br />

für nachhaltige Entwicklung wenig tun. Denn seine<br />

Messinstrumente sind stumpf. Bestes Beispiel ist der Indikator<br />

„wirtschaftlicher Wohlstand“. Das weltweite<br />

Finanzvolumen ist in den letzten 25 Jahren um über<br />

den Superreichen um 17 Prozent, die 650 reichsten<br />

Deutschen verbuchten 35 Prozent mehr, die 65 Reichsten<br />

sogar 53 Prozent mehr! Der Zusammenhang zwischen<br />

mehr Finanzwirtschaft, weniger Realwirtschaft<br />

und mehr sozialer Ungleichheit, die in Deutschland das<br />

höchste Niveau seit der Erhebung der Ungleichheits-Daten<br />

erreicht hat, liegt doch auf der Hand.<br />

1 000 Prozent auf 140 Billionen US-Dollar gestiegen.<br />

Ein verschwindend geringer Teil der Weltbevölkerung,<br />

Manager und Vermögensverwalter, bewegen so viel Kapital<br />

wie nie in der Geschichte. Und die Kassen klingeln.<br />

In den letzen 20 Jahren ist der weltweite Handel mit<br />

Finanzderivaten um sage und schreibe 3 800 Prozent gewachsen<br />

– seit Beginn der Messung um jährlich ein<br />

Fünftel. Der Derivatenmarkt kommt heute auf über<br />

610 Billionen Euro, also eine 61 mit – lassen Sie mich<br />

rechnen – 13 Nullen.<br />

Die Linke sagt darum: Soziale Ungleichheit darf kein<br />

Tabu mehr sein: Oder wollen sie Londoner Verhältnisse?<br />

Wir fordern darum einen Ungleichheitsindikator. Die Finanzwirtschaft<br />

hat bereits einmal die Realwirtschaft an<br />

die Wand gefahren und die Gefahr besteht erneut. Nachhaltigkeit<br />

darf nicht zur hohlen Propagandaparole verkommen.<br />

Sie von der schwarz-gelben Regierung erinnern<br />

uns Linke doch immer mal gerne an die DDR. Ich<br />

sage Ihnen: Lernen Sie von diesen Erfahrungen. Auch<br />

die DDR vermeldete nachhaltige Planerfüllung, bis zu-<br />

Das Problem: Die Geldwirtschaft hat die weltweite letzt. Das Ende ist ja hinlänglich bekannt.<br />

Realwirtschaft im Verhältnis 17 : 1 längst abgehängt.<br />

Spekulation, Wettgeschäfte und Managergehälter gehen<br />

– auch hierzulande – noch zu oft vor Arbeit, Vertrauen<br />

und Arbeitsplätze. Taucht diese absurde Realität im Indi-<br />

Also lassen Sie uns gemeinsam ehrliche Nachhaltigkeitskriterien<br />

finden und nutzen! Die Linke wird mit Ihnen<br />

allen Lösungen suchen.<br />

katorenbericht auf? Fehlanzeige!<br />

Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):<br />

(B)<br />

Das Bundeskanzleramt gibt die Nachhaltigkeitsindikatoren<br />

vor. Das Parlament muss damit zurechtkommen.<br />

Zur Messung wirtschaftlichen Wohlstandes dient allein<br />

das Bruttoinlandsprodukt. So zeigt der Indikatorenbericht<br />

2010 denn auch – alle Jahre wieder – heiter Son-<br />

Heute Morgen haben wir uns hier in diesem Hause erneut<br />

mit der Stabilisierung des europäischen Finanzmarktes<br />

beschäftigen müssen – leider.<br />

Deutschland hat seinen Anteil am Gewährleistungsrahmen<br />

deutlich auf 211 Milliarden Euro erhöht. Das<br />

(D)<br />

nenschein. Bei nachweislich steigender Armut von Kin- sind zwei Drittel des Volumens eines jährlichen Bundesdern,<br />

Arbeitslosen, Niedriglohnjobbern und Rentnern haushalts. Ist das nachhaltig oder nicht? Darüber wird<br />

wird ohne Scham vermeldet, das BIP pro Einwohner sei heftig gestritten. Wirklich wissen werden wir das erst,<br />

zwischen 1991 und 2009 preisbereinigt um 20 Prozent wenn alles wieder im Lot ist.<br />

gestiegen! Was für ein Hohn! Fragen wir doch einmal<br />

die Menschen auf der Straße, was von den 20 Prozent in<br />

ihrem Geldbeutel angekommen ist! Wenn sich die Lebenswirklichkeit<br />

von Millionen von Bürgerinnen und<br />

Bürgern mangels ehrlicher Indikatoren nicht im Fortschrittsbericht<br />

2012 der Bundesregierung widerspiegelt,<br />

dann frage ich mich: Was für ein Fortschritt messen wir<br />

eigentlich?!<br />

In Deutschland klafft die Schere zwischen Arm und<br />

Reich immer weiter auseinander. Im Sinne des erklärten<br />

Die Finanzkrise macht deutlich, dass wir um eine<br />

nachhaltige Wirtschaftsweise nun wirklich nicht mehr<br />

herumkommen. Wenn Schulden nicht ausreichend reale<br />

Werte gegenüberstehen, klappt das Kartenhaus aus Spekulationen<br />

zusammen.<br />

Aber es gibt durchaus Wege aus diesem Dickicht heraus:<br />

Ein wesentlicher Baustein ist, dass der Nachhaltigkeit<br />

der Staatsfinanzen ausreichend Rechnung getragen<br />

wird. Davon sind wir bei der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

der Bundesregierung und deren Fortschreibung, über die<br />

Nachhaltigkeitsziels Sozialen-Zusammenhalt-Stärken wir heute reden, noch weit entfernt. Darüber sind wir uns<br />

muss endlich ein Maß gefunden werden, das diese ge- im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwickfährliche<br />

– ganz und gar nicht nachhaltige Entwicklung – lung übrigens über alle hier im <strong>Bundestag</strong> vertretenen<br />

wirklichkeitsgetreu abbildet.<br />

Fraktionen einig.<br />

Warum machen wir es nicht wie die Vereinten Nationen?<br />

In ihrem jährlichen Weltbericht zur menschlichen<br />

Entwicklung wird soziale Ungleichheit nach Einkommen<br />

und Geschlecht schon seit Jahren thematisiert. Die<br />

entsprechenden Indikatoren sind da, sie müssen nur angewendet<br />

werden.<br />

Jetzt zur Nachhaltigkeit unseres Naturkapitals; denn<br />

wir reden heute auch über den interfraktionellen Antrag<br />

zur Konferenz für Umwelt und Entwicklung nächstes<br />

Jahr in Rio de Janeiro. Noch mitten in der Phase des gewaltigen<br />

Wirtschaftswachstums nach den Weltkriegen,<br />

1972, wurden wir auf die Grenzen des Wachstums – so<br />

lautete der Titel des Buches – aufmerksam gemacht.<br />

Aber der Bundesregierung fehlt der Wille fürs genaue Manch einer erinnert sich noch an die autofreien Sonn-<br />

Hinschauen. Kein Wunder! Das Deutsche Institut für tage 1973 zu Zeiten der ersten Ölkrise. Das Phänomen<br />

Wirtschaftsforschung rechnet vor: Seit den 1990er-Jah- der Verschwendung von Gütern, die nichts kosten, ist

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