Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag

15342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011
(A)
Sevim Dağdelen
Daðdelen
Ich finde, dass Menschen nicht nur nicht illegal sind, sondern eher eine Instrumentalisierung der Opfer; denn (C)
sondern auch kein ordnungspolitisches Freiwild. In der man macht das Schicksal der Menschen einfach von ei-
Begründung Ihres Gesetzentwurfs ist die Rede von – das ner Beweislage abhängig.
wird von der FDP, die sich Liberale nennen, und auch
von den Konservativen immer wieder betont – „der
Pflicht des Staates, illegale Einwanderung und illegalen
Aufenthalt zu bekämpfen“.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist besser als die jetzige
Lage!)
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist für uns nicht akzeptabel, lieber Kollege.
NEN]: Haben Sie gehört, Herr Wolff?)
Deshalb sage ich: Sie sollten lieber die Anträge der
Ich frage mich: Wo soll denn diese Pflicht eigentlich
normiert sein? Eine solche Pflicht findet sich zum Beispiel
im Grundgesetz in keiner Weise. Allerdings enthält
Linken für eine humanitäre Flüchtlingspolitik unterstützen.
Damit hätten wir auch die Mängel beseitigt, die Ihr
Gesetzentwurf enthält.
das Grundgesetz die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt,
die Menschenwürde zu achten, sie zu schützen und
Vielen Dank.
sich zu den unveräußerlichen Menschenrechten als
Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft zu beken-
(Beifall bei der LINKEN)
nen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Das Wort hat der Kollege Peter Tauber von der CDU/
Frieser [CDU/CSU]: Das tun wir!)
CSU-Fraktion.
– das sollten Sie einmal nachlesen – sowie die sozialen
Menschenrechte in Verbindung mit dem Sozialstaats-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
prinzip durchsetzbar zu machen.
Dr. Peter Tauber (CDU/CSU):
Für die Linke ist es daher längst überfällig, dass auch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Menschen ohne Aufenthaltsstatus die ihnen zustehenden Herren! Worum geht es? Wir sprechen über Menschen,
sozialen Menschenrechte in Deutschland in Anspruch die sich illegal in Deutschland aufhalten. Die Fraktion
nehmen können.
Bündnis 90/Die Grünen hat es etwas euphemistisch for-
(B)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des Abg. Memet Kilic
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Illegalisierte müssen das Recht auf Schulbildung, das
Recht auf Privatleben, das Recht auf medizinische Vermuliert
und das Gesetz folgendermaßen genannt: „Gesetz
zur Verbesserung der sozialen Situation von Menschen,
die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben“.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo ist da der Euphemismus?)
(D)
sorgung, das Recht auf eine gerechte Entlohnung für ihre Bevor wir über gefühlte Wahrheiten und die Betrach-
Arbeit sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit tung der Wirklichkeit sprechen, möchte ich eines klar-
haben. Sie dürfen keine Angst vor einer Abschiebung stellen: Natürlich ist der Satz „Kein Mensch ist illegal“
haben, wenn sie das eigentlich Normalste der Welt tun, absolut richtig; denn wir haben die Grundrechte im
nämlich ihre Menschenrechte in Deutschland wahrneh- Grundgesetz, wir haben das Asylrecht, wir sind ein Somen.
Insofern teilen wir die Kritik der Grünen in ihrem zial- und ein Rechtsstaat. Trotzdem ist auch der Satz,
Gesetzentwurf am Umgang mit den Illegalisierten. dass sich ein Mensch illegal in einem Land aufhalten
Richtig und dringend erforderlich ist, die Beihilfe
kann, richtig.
zum humanitären Aufenthalt zu entkriminalisieren.
Menschen strafrechtlich zu verfolgen, weil sie sich mit
der Verletzung der Menschenwürde und der Menschenrechte
nicht abfinden, ist einfach skandalös. Auch teilt
die Linke die Forderung nach einer Abschaffung der europaweit
einmaligen Denunziationspflicht; das fordern
Mich erfüllt etwas mit Sorge, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf
unser Land auf eine Art und Weise beschreiben,
die aus meiner Sicht weit an der Wirklichkeit vorbeigeht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
wir schon seit langem.
Sie schreiben unter anderem – dies klingt wie ein Hor-
(Beifall bei der LINKEN)
rorszenario –:
Die Forderung, dass die Grünen den Opfern von Men- In Deutschland besteht ein menschenrechtliches
schenhandel einen Aufenthalt nur dann gewähren wollen Problem im staatlichen Umgang mit Menschen, die
– und auch nur vorübergehend –, wenn deren Zeugen- in unserem Land ohne ein Aufenthaltsrecht leben.
aussage für ein Strafverfahren benötigt wird, ist nicht zustimmungsfähig.
Das haben Sie schon 2006 formuliert. Ganz ehrlich:
Durch Wiederholungen wird es nicht besser.
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Nein, das wollen wir nicht!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
– Das steht in Ihrem Gesetzentwurf, und das haben Sie GRÜNEN]: Das ist ein Zitat von der katholi-
auch 2006 schon gefordert. – Das ist kein Opferschutz, schen Kirche!)