Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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15210 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A)<br />
Peer Steinbrück<br />
dinieren, jedenfalls damit anzufangen, bevor man lange Beschädigung der Handlungsfähigkeit des Staates und (C)<br />
über die Einführung einer Wirtschaftsregierung räso- wirkt nicht nur angesichts dieser Finanzkrise und Staatsniert.<br />
Es geht darum, Steuerdumping, Steuerbetrug und verschuldung anachronistisch, die Wähler bewerten es<br />
Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Das Thema der Re- auch zunehmend als anachronistisch.<br />
gulierung der Finanzmärkte gehört dringend wieder auf<br />
die Tagesordnung.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen<br />
Ich will eine abschließende Bemerkung machen. geben weder die Einsicht noch die Kraft zu erkennen,<br />
(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist gut!)<br />
das Krisenmanagement von einem Durchlavieren in einen<br />
umfassenderen Lösungsansatz zu überführen. Ich<br />
– Mein Gott, dieses rituelle Echo, das ich von der CDU/<br />
CSU bekomme!<br />
(Zurufe von der CDU/CSU)<br />
Es könnte sein, dass hinter der Finanzkrise weit mehr<br />
noch eine politisch-legitimatorische Krise liegt. Die<br />
Grundidee der sozialen Marktwirtschaft, dass Risiko mit<br />
Gewinn belohnt, aber dass Verspekulieren mit Ruin bestraft<br />
wird, gilt offenbar nicht mehr. Haftung und Risiko<br />
fallen auseinander, Gewinne werden privatisiert, Verluste<br />
werden sozialisiert. Die Verursacher der Krise werden<br />
nicht an der Finanzierung der Folgekosten beteiligt,<br />
weil sie sich, wie ich gesagt habe, als systemrelevant im-<br />
wette, Sie werden den Deutschen <strong>Bundestag</strong> weiterhin<br />
scheibchenweise mit Fortsetzungskapiteln konfrontieren.<br />
Sie haben weder die Einsicht noch die Kraft, zu erkennen,<br />
dass das, was über den ungezähmten Finanzkapitalismus<br />
stattfindet, durchaus zu einer sozialen Entfremdung<br />
in dieser Gesellschaft beitragen könnte.<br />
Ihnen und Ihrer Regierung, Frau Bundeskanzlerin,<br />
fehlt in Zeiten der Gefahr die wichtigste politische Qualität:<br />
Vertrauen. Vertrauen erwächst aus Überzeugung<br />
und Begründung, aus Konsistenz und Erkennbarkeit.<br />
Aber genau daran fehlt es dieser Regierung.<br />
munisiert haben.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jan<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Korte [DIE LINKE]: Das haben Sie doch gemacht!)<br />
Vor diesem Hintergrund geraten Ihre großen Sprechblasen<br />
– „Herbst der Entscheidungen“, „Jahr des Ver-<br />
(B)<br />
Die Politik erscheint nicht mehr als Handelnder, sondern<br />
als Getriebener. Ich erinnere an die Daumenbewegungen,<br />
die Ratingagenturen vollführen.<br />
trauens“ und „die geistig-moralische Wende“ – zu einer<br />
sehr bitteren Pointe. Nach dem chinesischen Kalender<br />
befinden wir uns im Augenblick im Jahr des Hasen.<br />
Nach meiner Wahrnehmung vermittelt diese Regierung<br />
(D)<br />
Täuschen wir uns nicht: Das prägt die Wahrnehmung auch genau diesen Eindruck.<br />
von vielen Menschen und ihr Verhältnis zu Staat und<br />
Politik. Der Journalist Cordt Schnibben hat in einem<br />
Vielen Dank.<br />
Artikel geschrieben: „Die ideologischen Folgen des mo- (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei<br />
netären Kollapses sind dauerhafter als die wirtschaftli- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE<br />
chen, …“. – Das könnte sein. Das Paradigma der Deregulierung,<br />
die Fixierung auf Quartalsbilanzen, die<br />
GRÜNEN)<br />
Margenmaximierung und die Verachtung der alten<br />
Deutschland AG haben einem ungezähmten Kapitalismus<br />
Raum gegeben. Dieser neigt zu Exzessen, er neigt<br />
zur Zerstörung von Vermögen, und er erschüttert auch<br />
die Ideale der Demokratie.<br />
Präsident Dr. Norbert Lammert:<br />
Rainer Brüderle ist der nächste Redner für die FDP-<br />
Fraktion.<br />
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)<br />
(Beifall bei der SPD)<br />
Rainer Brüderle (FDP):<br />
Was wir jetzt erleben – das müsste eigentlich die bei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat:<br />
den Regierungsfraktionen beschäftigen –, greift auch das Die Welt sortiert sich neu. Dies ist kein europäisches<br />
bürgerlich-liberale und das konservative Selbstverständ- Zeitalter mehr. Zwei Drittel des weltweiten Wirtschaftsnis<br />
von Haftung und Risiko, Belohnung und Bestrafung, wachstums stammen von Schwellenländern, etwa China,<br />
Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums, Maß und Indien, Brasilien und Russland. Europa muss sich in die-<br />
Mitte an. Es sind Ihre Wählerinnen und Wähler, die dasem verschärften weltweiten Wettbewerb neu aufstellen.<br />
von betroffen sind. Vielleicht waren es Ihre Wähler. Ich teile die Einschätzung, dass Europa für uns Staatsrä-<br />
Diese wollen heute jedenfalls nicht, dass Sie ihnen das son ist. Deutschland darf sich nie wieder singularisieren.<br />
Ideal des Modells Irland wie eine Monstranz vorhalten,<br />
und können wahrscheinlich mit der Beschlusslage des<br />
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)<br />
Leipziger Parteitags der CDU als Antwort auf die jetzige Wir brauchen Europa, aber wir müssen es richtig ma-<br />
Situation auch nicht mehr so viel anfangen.<br />
chen.<br />
Das eindimensionale Programm der FDP – weniger Jetzt geht es darum, dass wir die Wirtschaftskraft Eu-<br />
Staat, mehr Markt, weniger Steuern – ist jedenfalls eine ropas schützen und stärken. Auch müssen wir unsere