Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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(B)<br />
15380 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A)<br />
Marco Buschmann<br />
tional erheblich zu verbessern und die Ausweichbewe- Die Behauptung, zahlreiche Richterinnen und Richter (C)<br />
gungen abzumildern.<br />
würden die englische juristische Fachsprache bereits<br />
Dass es bereits jetzt ein Bedürfnis für einen solchen<br />
Ansatz gibt, hat ein Modellprojekt des Oberlandesgerichtsbezirks<br />
Köln gezeigt. Die Landgerichte Köln,<br />
Bonn und Aachen haben in ihren Geschäftsverteilungsplänen<br />
Kammern eingerichtet, in denen auf Englisch<br />
verhandelt werden kann. Sie berufen sich dabei auf<br />
§ 185 GVG, wonach bei Übereinstimmung des Klägers<br />
und des Beklagten die Verhandlung in englischer Sprache<br />
geführt wird, wenn beide auf einen Dolmetscher verzichten<br />
und der Prozess einen internationalen Bezug<br />
aufweist. Sowohl die Justiz als auch die Anwaltschaft in<br />
Köln sind sich sicher, dass ihre Region, die Sitz von vielen<br />
internationalen Unternehmen ist, nur so attraktiv<br />
bleiben kann.<br />
hervorragend beherrschen, halte ich für fraglich. Jedenfalls<br />
trifft es nicht zu, dass mittlerweile eine Vielzahl von<br />
Richtern über Auslandserfahrung im englischsprachigen<br />
Ausland und über einen LL.M-Titel verfügen. Das<br />
sind wohl eher die Ausnahmen. Der Gesetzentwurf<br />
selbst räumt die Notwendigkeit ergänzender Fortbildungen<br />
der Richterinnen und Richter sowie auch des nichtrichterlichen<br />
Personals ein, die im Falle einer Umsetzung<br />
auch notwendig sein wird. Ein deutlicher Mehraufwand<br />
und eine hohe zusätzliche Belastung für das Personal<br />
sind hier vorprogrammiert. Im Gegenzug erwartet<br />
man gesteigerte Gebühreneinnahmen durch die angestrebte<br />
Attraktivitätssteigerung. Meine Richterkollegen<br />
in Thüringen haben übrigens vornehmlich Handelssachen<br />
mit osteuropäischem Bezug zu verhandeln. Mit der<br />
Einführung der englischen Sprache für alle internationalen<br />
Handelssachen müssten sich in solchen Verfahren<br />
alle Beteiligten in einer Fremdsprache verständigen.<br />
Das wäre eine deutliche Verschlechterung gegenüber<br />
dem Status quo, bei dem sich nur eine Partei auf eine<br />
Fremdsprache einstellen muss.<br />
Der vorliegende Gesetzentwurf will dabei nicht nur<br />
erreichen, dass nach § 185 GVG ausnahmsweise in englischer<br />
Sprache verhandelt werden kann, sondern dass<br />
auch Schriftsätze und Urteile entsprechend ausgefertigt<br />
werden können. Damit kann die Sprachbarriere des<br />
deutschen Rechts für internationale Unternehmen weiter<br />
abgebaut werden.<br />
Um dieses Vorhaben zu prüfen und weiterentwickeln<br />
zu können, wird der Rechtsausschuss zu diesem Gesetzentwurf<br />
im November eine öffentliche Anhörung durchführen.<br />
Zuletzt möchte ich noch auf die Sorgen der Kritiker<br />
eingehen. Es geht nicht um die Ersetzung der deutschen<br />
Sprache als Gerichtssprache. Vielmehr geht es darum,<br />
unser hervorragendes Rechtssystem zu bereichern. Es<br />
geht lediglich um eine eng begrenzte Ausnahme für den<br />
internationalen Handelsverkehr, die das Einverständnis<br />
aller Beteiligten voraussetzt. Dagegen kann, wie ich<br />
meine, niemand etwas haben.<br />
Jens Petermann (DIE LINKE):<br />
Das vorliegende Gesetzesvorhaben soll dem Ansehen<br />
des Gerichtsstandortes Deutschland dienen und bedeutende<br />
wirtschaftsrechtliche Verfahren anziehen. Das will<br />
man durch die Einrichtung von Kammern für internationale<br />
Handelssachen bei den Landgerichten erreichen,<br />
die ihre Verhandlung in englischer Sprache führen sollen.<br />
Die nächsthöhere Instanz darf dann in englischer<br />
oder deutscher Sprache verhandeln und gegebenenfalls<br />
einen Dolmetscher hinzuziehen.<br />
Man argumentiert, dass der Gerichtsstandort<br />
Deutschland unter der ausschließlichen Verwendung<br />
der deutschen Sprache leide – eine Behauptung, die angesichts<br />
der schlechten Personallage an deutschen Gerichten<br />
an der Realität vorbeigeht. Der Gerichtsstandort<br />
Deutschland leidet nämlich nicht unter der Gerichtssprache,<br />
welche aus gutem Grund Deutsch ist, sondern<br />
unter einer quantitativen und finanziellen Unterausstattung<br />
der Gerichte und Justizbehörden – ein Umstand,<br />
der aufgrund der gleichzeitig sehr angespannten Situation<br />
auf dem Arbeitsmarkt für Juristen und Juristinnen<br />
gleich doppelt schmerzlich ist.<br />
Höchst fraglich ist aber auch, ob das vorliegende Gesetz<br />
überhaupt mit dem im Gerichtsverfassungsgesetz<br />
normierten Öffentlichkeitsgrundsatz vereinbar wäre.<br />
Um diesem zu genügen, müssen Gerichtsverfahren für<br />
jedermann verständlich sein und dementsprechend auf<br />
Deutsch vollzogen werden. In der Begründung zum Gesetzentwurf<br />
wird dies mit dem Hinweis auf eine Umfrage<br />
bestritten, in der 67 Prozent der Befragten angaben,<br />
dass sie Englisch „einigermaßen gut“ sprechen und verstehen<br />
können. Hier wird zum einen nicht berücksichtigt,<br />
dass die juristische Fachsprache deutliche Besonderheiten<br />
aufweist und dementsprechend längst nicht jede des<br />
Englischen mächtige Person einer auf Englisch gehaltenen<br />
Gerichtsverhandlung folgen könnte. Zum anderen<br />
wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nur ein<br />
sprachlich entsprechend vorgebildeter Teil der Bevölkerung<br />
die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit tatsächlich<br />
ausüben könnte. Es ist ja gerade der Sinn der Kontrollfunktion<br />
des Öffentlichkeitsgrundsatzes, die gesamte Bevölkerung<br />
zu beteiligen und niemanden auszuschließen.<br />
In einer Demokratie muss die Justiz als dritte Gewalt für<br />
jedermann verständlich bleiben.<br />
In dem Gesetzentwurf wird ferner behauptet, dass<br />
ausländische Vertragspartner und Prozessparteien den<br />
Gerichtsstandort Deutschland trotz international hoher<br />
Anerkennung für die deutsche Justiz meiden würden, um<br />
nicht in einer für sie unverständlichen Sprache verhandeln<br />
zu müssen. Tatsache ist jedoch, dass heutzutage<br />
viele Rechtsanwaltskanzleien, insbesondere die ohnehin<br />
international tätigen, längst über mehrsprachiges Personal<br />
verfügen. Der Zugang zu deutschen Gerichten für<br />
internationale Mandanten ist mithin über die sie vertretenden<br />
Kanzleien bereits möglich. Die einzigen, die<br />
zweifelsfrei einen zählbaren Nutzen durch dieses Gesetz<br />
haben dürften, sind eben diese mit englischsprachigen<br />
Mandaten betrauten Anwaltskanzleien, die einen großen<br />
Teil ihrer lästigen Übersetzungsarbeit auf die Gerichte<br />
abwälzen könnten.<br />
Zu Protokoll gegebene Reden<br />
(D)