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Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011 15429<br />

(A) kürzungen, dem größten Sozialabbau der europäischen lichen Regelwerks wieder auf, indem man zukünftig (C)<br />

Nachkriegsgeschichte und dem Zusammenstreichen der Verstöße gegen die Stabilitätsziele automatisch ahndet<br />

Bildungsausgaben dafür, dass private Banken weiter und das Prinzip des Haftungsausschlusses konsequent<br />

spekulieren können. In Deutschland wird die gesamte anwendet. Nur mithilfe dieser klaren Perspektive kann<br />

Bevölkerung in Haftung für die milliardenschweren Ga- man Staaten zu verlässlichen und nachhaltigen Haushalrantien<br />

genommen. Solange die Finanzmärkte nicht ten disziplinieren.<br />

strikt reguliert, die Großbanken vergesellschaftet und die<br />

Staatsfinanzierung nicht von den Kapitalmärkten abgekoppelt<br />

werden, ist die Krise nicht unter Kontrolle zu<br />

bringen.<br />

Daher unterstütze ich die derzeit zur Verschärfung der<br />

Stabilitätsverpflichtungen diskutierten Durchgriffsrechte<br />

voll und ganz. Zu diesen gehört beispielsweise,<br />

dass Parlamente im Falle von massiven Regelverstößen<br />

Die EFSF-Politik ist ungerecht, weil sie die Umver- ihre fiskalpolitische Souveränität einbüßen oder sogar<br />

teilung von unten nach oben beschleunigt und so eine ganz verlieren. Diese Regelung bedarf freilich vertragli-<br />

zentrale Krisenursache fortschreibt. Sie ist ökonomisch cher Änderungen. Die Erfahrung zeigt, dass solche ver-<br />

gefährlich, weil die Spardiktate eine ökonomische Beletraglichen Änderungen nur schwer durchsetzbar sind. Es<br />

bung der Krisenländer verhindern und keine effektiven bedarf besonderer Umstände, die einen Handlungsdruck<br />

Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Un- erzeugen. Die entscheidende Frage ist nun, ob nach Ergleichgewichte<br />

in Euro-Zone und EU vorgesehen sind. weiterung des Rettungsschirms EFSF, der in den ständi-<br />

Sie gefährdet zudem zunehmend die europäische Integen Rettungsmechanismus ESM – Europäischer Stabiligration:<br />

Rechtspopulistische Parteien, die die Ängste tätsmechanismus – übergehen soll, überhaupt noch<br />

und die Wut der Menschen gegen Spardiktate in europa- Handlungsdruck vorhanden ist. Ich meine, nein.<br />

feindliche und nationalistische Propaganda kanalisieren,<br />

sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Das Argument<br />

von Union, FDP, SPD und Grünen, es gehe mit<br />

dem Rettungsschirm darum, Europa zu retten, ist für<br />

mich falsch.<br />

Das europäische Projekt hat nur dann eine Zukunft,<br />

wenn es sozial gerecht, wirtschaftlich vernünftig und demokratisch<br />

gestaltet wird. Da die Euro-Rettung in genau<br />

die entgegengesetzte Richtung weist, kann ich der EFSF<br />

nicht zustimmen.<br />

Des Weiteren krankt der Rettungsschirm EFSF daran,<br />

dass er kein überzeugendes Anreizsystem zur Schuldenvermeidung<br />

bietet. Schlimmer noch: Der Rettungsschirm<br />

EFSF erlaubt es, dass künftig marode Staatsanleihen<br />

angekauft werden können. Der Ankauf von<br />

Staatsanleihen aber kommt einer Zinssubvention gleich<br />

und verhindert dadurch, dass der Markt für Staatsanleihen<br />

die Staaten mit hoher Verschuldung durch eine effiziente<br />

Preissetzung zügelt. Gerade ein hoher Anleihezins<br />

würde Staaten zu Reaktionen zwingen. Damit ist ein<br />

(B)<br />

Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Der erwei-<br />

zentraler Hebel zur Disziplinierung von Staaten außer<br />

Kraft gesetzt.<br />

(D)<br />

terte Rettungsschirm EFSF trägt nicht zur Beseitigung<br />

der aktuellen Staatsschuldenkrise oder zur Verhinderung<br />

künftiger Schuldenkrisen bei. Durch den Rettungsschirm<br />

drohen die Schulden vielmehr vergemeinschaftet zu<br />

werden. Dann haben wir die Haftungsunion, die wir nie<br />

haben wollten. Aus diesem Grunde kann ich dem vorliegenden<br />

Gesetz nicht zustimmen.<br />

Unbestritten ist, dass Deutschland als Exportnation<br />

Kurzum: Der erweiterte Rettungsschirm wird weder<br />

das Verschuldungsproblem in Europa noch das Zahlungsbilanzdefizit<br />

der Peripheriestaaten oder deren fehlende<br />

Wettbewerbsfähigkeit lösen. Meine Sorge ist, dass<br />

das Schuldenproblem einzelner Staaten auf ganz Europa<br />

übergreifen könnte und damit das Projekt Euro insgesamt<br />

gefährdet wird.<br />

ganz besonders vom Euro profitiert. Unbestritten ist<br />

auch, dass der Euro nur in einer Stabilitätsunion eine erfolgreiche<br />

Zukunft haben kann und nicht in einer Schuldenunion.<br />

Daher haben bereits die Gründerväter des<br />

Euro wichtige Instrumente zur Errichtung einer Stabilitätskultur<br />

geschaffen: die Europäische Zentralbank zur<br />

Sicherung der Geldwertstabilität, den Stabilitäts- und<br />

Wachstumspakt zur Sicherung solider Staatshaushalte<br />

sowie die sogenannte No-Bail-out-Klausel, die sichern<br />

sollte, dass kein Staat für die Schulden eines anderen<br />

Ulla Lötzer (DIE LINKE): Ich stimme gegen den erweiterten<br />

Euro-Rettungsschirm, weil nicht die Krisenverursacher,<br />

die Finanzmarktakteure und Vermögenden<br />

für die Kosten der Krise herangezogen werden, sondern<br />

die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Arbeitslosen,<br />

die Rentnerinnen und Rentner, hier wie auch in<br />

Griechenland. Stattdessen wäre eine europaweite Vermögensabgabe<br />

und eine gerechte Besteuerung von Vermögen<br />

und Kapitaleinkünften zwingend.<br />

EU-Mitgliedstaates haften oder aufkommen muss. Ge- Die Sparauflagen für die südeuropäischen Schuldnergen<br />

alle drei Grundsätze ist mittlerweile verstoßen worstaaten verschärfen die wirtschaftliche Krise in den Länden.<br />

Die Folge ist, dass Europa heute in einer tiefen und dern und führen die Staaten tiefer in die Schuldenkrise.<br />

strukturellen Staatsschuldenkrise steckt. Die Krisenursa- Mit den Delegierten des Gewerkschaftstages von Verdi<br />

che ist daher mitnichten das Scheitern der Idee einer Eu- trete ich daher für ein sofortiges Ende der ökonomisch<br />

ropäischen Währungsunion, sondern das konsequente und sozial schädlichen Sparpolitik in den Schuldnerlän-<br />

Ignorieren der Regeln.<br />

dern ein.<br />

Angesichts dieses Befundes kann es grundsätzlich nur Die europäischen Regierungen und die EU unterwer-<br />

einen glaubwürdigen Ausweg aus der Staatsschuldenfen alle Länder nach wie vor dem Diktat der Finanzkrise<br />

geben: Man greift den Kerngedanken des ursprüngmarktakteure, statt sie endlich zu regulieren. Eine euro-

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