Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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15470 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A) Klar ist mit der Schaffung eines Rechtsmittels bei dem Anspruchsumfang andererseits ausgeprägt. Mit der (C)<br />
Überlänge eines gerichtlichen Verfahrens, dass künftig angemessenen Entschädigung bei Nachteilen wegen<br />
auch in Deutschland jedermann, der sich einer nicht überlanger Gerichtsverfahren entsprechen wir nun dieser<br />
mehr hinnehmbaren Verfahrenslänge ausgesetzt sieht, Systematik.<br />
über Rechtsschutzmöglichkeiten verfügt.<br />
Ferner sieht § 198 Abs. 3 und 4 GVG die Möglichkeit<br />
Ich nutze diese Debatte aber auch gerne, um vorab der Entschädigung immaterieller Nachteile „auf andere<br />
nochmals festzustellen: Die deutsche Justiz arbeitet ins- Weise“ vor, welche beispielsweise in der gerichtlichen<br />
gesamt schnell und auf hohem Qualitätsniveau. Eine Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer lie-<br />
knappe Personalausstattung, die in gewissem Maße zu gen kann. An dieser Stelle wird deutlich, dass wir uns<br />
einer längeren Verfahrensdauer beiträgt, hat die Justiz systematisch richtigerweise nicht im Bereich des Scha-<br />
nicht zu verantworten. Vielmehr hat sie die große Aufdenersatzrechts, sondern vielmehr im Entschädigungsgabe,<br />
im Rahmen der Haushaltsmittel ein bürgernahes recht befinden.<br />
und effektives Rechtsschutzsystem zu gewährleisten.<br />
Für den Betrag, der hier insgesamt zur Verfügung steht,<br />
zeichnet die Politik auf verschiedenen Ebenen verantwortlich,<br />
die hier eine Abwägung gegenüber anderen<br />
wichtigen politischen Zielsetzungen zu treffen hat, beispielsweise<br />
der Finanzierung von Bildung, Sozialleistungen<br />
oder Infrastruktur.<br />
Mit der Vermutungsregelung hinsichtlich des Vorliegens<br />
eines immateriellen Nachteils bei bloßem Vorliegen<br />
einer Verfahrensüberlänge tragen wir den Beweis- und<br />
Darlegungsschwierigkeiten der Betroffenen in diesem<br />
Bereich Rechnung. Materielle Nachteile hingegen sind<br />
mit den allgemeinen Regeln, beispielsweise des Anscheinsbeweises<br />
oder der Berücksichtigung typischer<br />
Deshalb kann es kein Anliegen sein, hier über die An- Kausalverläufe, angemessen geregelt. Um hier aber<br />
gemessenheit hinaus besonders hohe Entschädigungs- letzte Sicherheit zu bekommen, werden wir die Erfahbzw.<br />
gar vollumfängliche Schadenersatzansprüche zu rungen bei der Geltendmachung materieller Nachteile<br />
schaffen. Bei der konkreten Bemessung der Entschädi- evaluieren.<br />
(B)<br />
gungshöhe geraten wir in den Beratungen regelmäßig in<br />
einen Überbietungswettbewerb. Deshalb war der Antrag<br />
der Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen<br />
betreffend eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile<br />
in Höhe von 1 000 Euro pro Monat der Verzögerung<br />
nicht zielführend. Das Geld würde an anderer<br />
Stelle fehlen. Jedem muss doch in Zeiten der Schuldenbremse<br />
und des Abbaus der Staatsverschuldung klar<br />
sein, dass hohe Forderungen in einem Bereich zu Kürzungen<br />
in anderen Bereichen führen. Außerdem würde<br />
eine monatliche Bemessung den Eindruck erwecken,<br />
dass sich die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens<br />
in Monaten bemessen würde. Es geht hierbei<br />
aber immer um Zeitspannen, die in Jahren zu bemessen<br />
Ich muss zugeben, dass ich mir noch einige weitere<br />
Verbesserungen gewünscht hätte. So weiß ich um einigen<br />
Unmut aus den Regionen, die in einem OLG-Bezirk<br />
liegen, welcher nicht den Sitz der Landesregierung umfasst.<br />
Wie nun die Richterkollegen beispielsweise im<br />
OLG-Bezirk Karlsruhe der Beurteilung ihrer Verfahrenslängen<br />
durch das OLG Stuttgart gegenüberstehen, vermag<br />
ich nicht abschließend zu beurteilen. Hier hätte ich,<br />
hätte die Union keinen Anlass gesehen, auf der Ebene<br />
des Entschädigungsverfahrens den OLG-Bezirk zu verlassen.<br />
Wir werden beobachten, ob das Gesetz auch in<br />
diesem Punkt den eingespielten Abläufen in den Landesjustizverwaltungen<br />
nicht entgegensteht.<br />
(D)<br />
sind.<br />
Auch wäre es meines Erachtens hilfreich gewesen,<br />
Ich denke, wir haben im parlamentarischen Verfahren<br />
einige wesentliche Verbesserungen zum Regierungsentwurf<br />
vorgenommen:<br />
mit dem Tatbestandsmerkmal „überlange Dauer“ in<br />
§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einen sprachlich deutlicheren<br />
Bezug zur EGMR-Rechtsprechung im Gesetz zu verankern.<br />
Es sollte nicht das Signal an die Rechtsanwender<br />
So passen wir die Rechtsfolgenseite des Entschädi- ausgesendet werden, dass bereits vergleichsweise gegungsanspruchs<br />
nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG an die ringe Verzögerungen zur sogenannten Rüge berechtigen.<br />
Rechtsprechung des EGMR an, indem wir einen An- Dennoch besteht die Hoffnung, dass die Praxis aus der<br />
spruch auf angemessene Entschädigung vorsehen. Damit Gesetzesbegründung und nicht zuletzt aus den Plenar-<br />
gehen wir bewusst von schadenersatzrechtlichen Erwäprotokollen entnimmt, dass die nun normierte „Unangegungen<br />
im Regierungsentwurf ab, die nicht zuletzt Anmessenheit“ der Verfahrensdauer allein auf die „Ausreisprüche<br />
hinsichtlich entgangenen Gewinns umfasst hätßer“ bezogen ist, die der EGMR in seiner Rechtten.<br />
Hiermit wären wir einerseits als Gesetzgeber weit sprechung zum Gegenstand macht. Die Verfahrenslän-<br />
über die Straßburger Vorgaben hinausgegangen. Andegen liegen hier bei mehreren Jahren, die in den Instanzen<br />
rerseits hielte ich es nicht für vertretbar, die Landeshaus- nicht selten in den zweistelligen Bereich gehen, wie<br />
halte mit der Regelung eines staatshaftungsrechtlichen „Sürmeli gegen Deutschland“ aus 2006 mit Verfahrens-<br />
Teilbereichs einem solch erheblichen zusätzlichen Kosbeginn 1982 oder die beiden eingangs genannten Fälle,<br />
tenrisiko auszusetzen.<br />
die ihren Ausgang beide im Jahr 1989 hatten.<br />
Ferner befinden wir uns bei den nun normierten An- Aus all diesen Erwägungen werden wir schließlich<br />
sprüchen im Bereich der verschuldensunabhängigen evaluieren. Wir wollen genau beobachten, welche Erfah-<br />
Haftung. Hier sehe ich für Ansprüche nach den rungen die Rechtsuchenden und die Justizverwaltungen<br />
§§ 249 ff. BGB keinen Raum. Im deutschen Staatshaf- mit den Neuregelungen machen. Auch wenn ich fest datungsrecht<br />
hat sich ein ausgewogenes Verhältnis von von ausgehe, dass der Entschädigungsanspruch für erlit-<br />
Verschulden/Verschuldensunabhängigkeit einerseits und tene materielle Nachteile von den deutschen Gerichten