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Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011 15493<br />

(A) gelegten <strong>Bericht</strong> darauf hingewiesen, dass die Frontex- Genau hier muss eine effektive und humane Flücht- (C)<br />

Behörde Migrantinnen und Migranten unmenschlicher lingspolitik in der Europäischen Union beginnen. Die<br />

und erniedrigender Behandlung aussetzt. Die Linke for- Fraktion Die Linke fordert auch seit vielen Jahren eine<br />

dert, die Ausrichtung der Aufgaben von Frontex grund- solidarische Flüchtlingspolitik für die Europäische<br />

sätzlich zu verändern.<br />

Union. Staaten, die an der Außengrenze der EU liegen,<br />

Ebenfalls fehlt in dem Antrag eine scharfe Kritik an<br />

der Untätigkeit der NATO-Stellen, die das Mittelmeer<br />

lückenlos überwachen. Der Antrag greift daher in einiger<br />

Hinsicht zu kurz.<br />

dürfen wir nicht alleine lassen.<br />

Wir wollen, dass Kapitäne und Schiffsbesatzungen<br />

verpflichtet werden, Menschen in Not zu helfen. Das internationale<br />

Recht muss so weiterentwickelt werden,<br />

dass Kapitäne, die Menschen in Seenot nicht helfen, sich<br />

Die Fraktion Die Linke unterstützt im Grundsatz eine für ihr Verhalten strafrechtlich verantworten müssen.<br />

Ausweitung der Seenotrettung. Von den Staaten der Eu- Unterlassene Hilfeleistung auf See muss ein schwerwieropäischen<br />

Union fordern wir, großflächige Kapazitäten gender Straftatbestand sein.<br />

für die Rettung von Menschen im Mittelmeer zur Verfügung<br />

zu stellen. Die Argumentation, dass hierdurch der<br />

angebliche „Flüchtlingsstrom nach Europa“ zunehmen<br />

würde, ist nicht nur zynisch, sondern auch falsch. Das<br />

hat mit der Realität der Flüchtlingszahlen nichts zu tun.<br />

Der im Antrag der Grünen eingebrachte Vorschlag,<br />

Schiffe, die Menschen in Seenot helfen, dafür eventuell<br />

auch zu entschädigen, ist intensiv zu prüfen. Gleichzeitig<br />

zeigt dieser Vorschlag auch die gesamte Perversität der<br />

heutigen Diskussion um die Seenotrettung auf: Menschen<br />

Im Jahr 2010 gab es etwa 44 Millionen Flüchtlinge.<br />

Das waren ungefähr 400 000 mehr als im Jahr 2009.<br />

Über 80 Prozent aller Flüchtlinge waren Binnenflücht-<br />

in Seenot werden deshalb im Stich gelassen, weil hierdurch<br />

wirtschaftliche Interessen berührt sind und eventuell<br />

zusätzliche Kosten für die Reedereien entstehen.<br />

linge oder Menschen, die in die direkten Nachbarländer<br />

flohen. Nur jeder fünfte Flüchtling schaffte es in die westlichen<br />

Industrieländer. 2010 lebten die meisten Flüchtlinge<br />

in Pakistan – 1,9 Millionen –, im Iran – 1,1 Millionen –<br />

und in Syrien – 1,0 Millionen –. In Deutschland leben<br />

zurzeit knapp 600 000 Flüchtlinge. Also sind es die armen<br />

Länder des Südens, die den Großteil der Flüchtlingsbewegungen<br />

aufgenommen haben!<br />

In einem neuen Positionspapier beklagt Amnesty die<br />

Der Tod von Menschen auf hoher See wird also bewusst<br />

in Kauf genommen, weil hierdurch die wirtschaftlichen<br />

Gewinne von Reedereien geringer ausfallen könnten!<br />

Das ist eine wahrhaft traurige Bilanz für unsere<br />

humanitären Grundsätze. Hier müssen wir endlich umdenken<br />

und zu einer menschlicheren Politik finden.<br />

Stattdessen erleben wir sogar, dass Kapitäne, die<br />

Menschen auf See retten, wegen angeblicher Schlepperei<br />

angeklagt werden. Der Prozess gegen den ehemali-<br />

(B) völlig ungenügende Bereitschaft der meisten europäigen Cap-Anamur-Vorsitzenden, Elias Bierdel, hat welt- (D)<br />

schen Länder, die etwa 5 000 Flüchtlinge aufzunehmen, weit für Schlagzeilen gesorgt.<br />

die aufgrund der Kämpfe aus Libyen fliehen mussten.<br />

Die Antwort der EU fiel, wie zu erwarten, bisher sehr<br />

zögerlich aus: Neben den USA, Australien und Kanada<br />

haben sich nur acht europäische Länder zur Aufnahme<br />

von insgesamt lediglich 800 Menschen bereit erklärt.<br />

Auch der Fall des Fischers Zenzeri, der am 8. August<br />

2007 auf ein kaputtes Schlauchboot mit 44 Flüchtlingen<br />

aus dem Sudan, Eritrea, Äthiopien, Marokko, Togo und<br />

der Elfenbeinküste stieß, ist ein Skandal. Die Tageszeitung<br />

berichtet, dass das kaputte Boot bei schwerer See<br />

Die Europäische Union baut immer höhere Mauern manövrierunfähig in maltesischen Hoheitsgewässern<br />

zur Abwehr von Flüchtlingen auf. Menschen werden<br />

ganz bewusst im Stich gelassen und müssen qualvoll im<br />

Mittelmeer ertrinken. Alleine in diesem Jahr sind mehr<br />

als 2 000 Menschen ertrunken, als sie versuchten, in die<br />

Europäische Union zu gelangen. Die Gemeinschaft der<br />

europäischen Staaten schaut hier bewusst weg.<br />

trieb. Der Fischer tat das einzig Richtige: Er entschied,<br />

dass das Boot, auf dem auch zwei Kinder, eines von ihnen<br />

behindert, und zwei schwangere Frauen waren, so<br />

schnell wie möglich an Land musste. Nachdem die<br />

Fischer SOS abgesetzt hatten, schickten die italienischen<br />

Behörden kein Boot zur Hilfe, sondern eine Patrouille<br />

der italienischen Küstenwache. Für diese Hilfe wurde<br />

dem Fischer sein Schiff abgenommen, und heute steht er<br />

vor Gericht mit einer Anklage wegen Schlepperei. Das<br />

ist unfassbar!<br />

Solche Anklagen müssen in Zukunft unmöglich sein.<br />

Die Rettung von Schiffbrüchigen muss als oberstes Ziel<br />

und verbindliche Verpflichtung in den internationalen<br />

Abkommen, aber auch in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten<br />

der EU festgeschrieben werden.<br />

Am 20. September brach im Zuge von Protesten ein<br />

Brand in einem überfüllten Flüchtlingslager auf der italienischen<br />

Insel Lampedusa aus. Der UNHCR erklärte<br />

hierzu, der Brand sei die Folge der wachsenden Spannungen<br />

unter den Flüchtlingen, die zu lange in haftähnlichen<br />

Bedingungen in den übervollen Lagern festgehalten<br />

werden. Mehrere Hundert minderjährige<br />

unbegleitete Flüchtlinge leben zurzeit unter unzumutbaren<br />

Bedingungen auf Lampedusa, manche bereits seit<br />

über sechs Wochen. An der griechisch-türkischen Landgrenze<br />

werden aufgegriffene Migrantinnen und Migranten<br />

in völlig überfüllte, menschenunwürdige Haftzentren<br />

überstellt. Diese Bilder sollen abschrecken und Menschen<br />

davon abhalten, um Hilfe in der EU zu bitten.<br />

Diese menschenunwürdige Behandlung ist ein Armutszeugnis<br />

für Europa und seine humanitären Grundsätze!<br />

Die Linke begrüßt, dass mit dem Antrag von<br />

Bündnis 90/Die Grünen die überfällige und notwendige<br />

Debatte über den Schutz von Flüchtlingen durch die<br />

Staaten der EU in Gang gekommen ist. Dieser Antrag<br />

muss jedoch weiterentwickelt werden, damit wir endlich<br />

zu einer Flüchtlingspolitik finden, die Menschen in Not<br />

und auf der Flucht nicht mehr als Last begreift. Die Hilfe

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