Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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(B)<br />
15472 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A) fahrensdauer von Gerichtsverfahren insgesamt zu vertierenden Nachteile zu ersetzen. Der Ersatz umfasst die (C)<br />
kürzen. Dabei darf natürlich nicht außer Acht gelassen materiellen Nachteile und, soweit nicht nach den Einzel-<br />
werden, dass in der Fachgerichtsbarkeit – zum Beispiel fallumständen Wiedergutmachung auf andere Weise aus-<br />
bei den Sozialgerichten – eine ordentliche Personal- und reichend ist, auch die immateriellen Nachteile. Dieser<br />
Finanzausstattung vonnöten ist.<br />
Ansatz bietet damit nicht nur einen effektiven Rechts-<br />
Gleichwohl ist dieses Gesetz aus Sicht der SPD-<strong>Bundestag</strong>sfraktion<br />
das Ergebnis einer sach- und fachgerechschutz,<br />
sondern vermeidet auf der anderen Seite unnötige<br />
Mehrbelastungen für die Justiz.<br />
ten Abwägung der berechtigten Interessen der Gerichte Die Betroffenen konnten bisher nur versuchen, sich<br />
und ihrer Richter auf der einen, aber auch der rechtsu- mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter<br />
chenden Bürger – und deren Anspruch auf schnelle Ent- oder äußerstenfalls mit einer Verfassungsbeschwerde zu<br />
scheidung – auf der anderen Seite.<br />
wehren. Für den Ausgleich von Nachteilen gab es nur<br />
den allgemeinen Amtshaftungsanspruch, der oft nicht<br />
weiterhalf, da er nur für schuldhafte Verzögerungen gilt,<br />
um die es in vielen Fällen aber nicht geht. Außerdem<br />
deckt die Amtshaftung keine immateriellen Nachteile<br />
ab, wie etwa seelische oder gesundheitliche Belastungen<br />
durch überlange Gerichtsverfahren.<br />
Der Entwurf setzt auf Prävention vor überlangen Prozessen<br />
und auf Kompensation der daraus resultierenden<br />
Folgen. Aufgrund der Unterschiede bei der zeitlichen<br />
Behandlung von Rechtssachen ist von den Justizverwaltungen<br />
und den für die Haushalte der Länder verantwortlichen<br />
Stellen zu erwarten, dass der im Gesetzentwurf<br />
vorgesehene Anspruch auf Entschädigung zum Anlass<br />
genommen werde, die Ressourcen der Justiz zu verbessern.<br />
Durch den Druck, der durch die Entschädigungsvoraussetzungen<br />
ausgeübt wird, wird man zudem dem Beschleunigungsgebot<br />
angemessen gerecht und fördert<br />
konkludent das Verfahren.<br />
Christian Ahrendt (FDP): Die FDP-<strong>Bundestag</strong>sfraktion<br />
begrüßt ausdrücklich, dass wir den Betroffenen<br />
überlanger Gerichtsverfahren nun ein wirksames Mittel<br />
in die Hand geben, um sich gegen unangemessen lange<br />
Prozesse zur Wehr zu setzen. Es ist untragbar, wenn die<br />
übermäßige Verfahrensdauer zu einer persönlichen und<br />
finanziellen Belastung der Betroffenen führt.<br />
Jeder soll Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz in<br />
angemessener Zeit haben. Gerichtsverfahren dauern<br />
trotzdem vereinzelt zu lang, auch wenn Deutschland bei<br />
der Prozessdauer im internationalen Vergleich gut dasteht.<br />
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,<br />
EGMR, hat in der Vergangenheit von Deutschland bessere<br />
Rechtsbehelfe bei überlangen Verfahren verlangt.<br />
Bei vier von fünf Verurteilungen Deutschlands durch<br />
den EGMR ging es um überlange Prozesse. Aber auch<br />
das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte<br />
haben mehrfach den Stellenwert des Anspruchs<br />
auf angemessene Verfahrensdauer bekräftigt.<br />
Zu lange gab es bei überlangen Gerichtsverfahren im<br />
deutschen Recht keine speziellen Rechtsschutzmöglichkeiten.<br />
Dem wird nun ein Riegel vorgeschoben. Mit diesem<br />
Gesetz schaffen wir nun die notwendigen Voraussetzungen<br />
für mehr Rechtsschutz bei überlangen<br />
Gerichtsprozessen und schließen damit die Rechtsschutzlücke,<br />
die sowohl nach den Anforderungen des<br />
Grundgesetzes als auch nach denen der Europäischen<br />
Menschenrechtskonvention besteht.<br />
Betroffene müssen zunächst im Ausgangsverfahren<br />
auf die Verzögerung hinweisen. Dies gibt den Richtern<br />
erst einmal die Möglichkeit, bei berechtigter Kritik Abhilfe<br />
zu schaffen. Auch soll eine Verzögerungsrüge erst<br />
nach einer Wartefrist von sechs Monaten wiederholt<br />
werden können, damit Gerichte nicht durch mehrfache<br />
Rügen unnötig belastet werden und ein Richter ausreichend<br />
Zeit hat, wirksam zu reagieren und somit das Verfahren<br />
zu fördern. Aus dem gleichen Grund kann im Anschluss<br />
an eine Verzögerungsrüge auch frühestens nach<br />
sechs Monaten Klage beim Entschädigungsgericht eingelegt<br />
werden. Die ausschließliche Zuständigkeit für die<br />
Entschädigungsklagen gegen ein Land liegt bei dem<br />
Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Regierung des<br />
beklagten Landes ihren Sitz hat, für Klagen gegen den<br />
Bund beim Bundesgerichtshof.<br />
Bei einer Verletzung des Rechts auf angemessene<br />
Verfahrensdauer sind dem Betroffenen die daraus resul-<br />
Jens Petermann (DIE LINKE): Was lange währt,<br />
sollte besonders gut werden. So hatte ich meinen Beitrag<br />
in der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfes im Januar<br />
begonnen. Doch weder eine öffentliche Anhörung, noch<br />
Änderungs- und Entschließungsanträge der Regierungskoalition<br />
konnten diesem Gesetzentwurf die nötige fachliche<br />
und praktische Brillanz verleihen. Auch meine<br />
Fraktion hat durch die Einbringung eines Änderungsantrages<br />
in den Rechtsausschuss versucht, sich konstruktiv<br />
zu beteiligen. Leider wurde unser Antrag abgelehnt, und<br />
leider nehmen Sie unsere Argumente immer erst dann<br />
ernst, wenn sie diese ein paar Jahre später vom Bundesverfassungsgericht<br />
oder vom Europäischen Gerichtshof<br />
für Menschenrechte hören.<br />
Mit Ihrem Entwurf sind Sie wieder einmal im Verzug,<br />
ein fast schon gewohntes Phänomen. Der Europäische<br />
Gerichtshof für Menschenrechte hatte die Bundesrepublik<br />
Deutschland am 2. September 2010 verpflichtet,<br />
binnen eines Jahres einen wirksamen innerstaatlichen<br />
Rechtsbehelf oder eine Kombination solcher Rechtsbehelfe<br />
einzuführen. Jede Anwaltskanzlei, die so nachlässig<br />
gesetzte Fristen missachtet, hätte schon längst Insolvenz<br />
anmelden müssen. Anscheinend ist es sinnvoll,<br />
einen Rechtsbehelf gegen überlange Gesetzgebungsverfahren<br />
oder eine Untätigkeitsrüge gegen die Bundesregierung<br />
einzuführen.<br />
Der EGMR stellt in seiner Entscheidung fest, dass es<br />
sich bei den überlangen Gerichtsverfahren in Deutschland<br />
um ein strukturelles Problem handelt. Das in dem<br />
Regierungsentwurf vorgesehene Rechtsmittel ist allen-<br />
(D)