Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011 15249<br />
(A)<br />
Dr. Heinrich L. Kolb<br />
mehr. Und die Grünen schließen sich, wenn ich das rich- Vizepräsident Eduard Oswald:<br />
(C)<br />
tig gelesen habe, der Meinung der Linken an.<br />
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kolb. – Jetzt für die<br />
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />
NEN]: Nein! Wir wollen die sachgrundlose<br />
Fraktion Die Linke unser Kollege Klaus Ernst. Bitte<br />
schön, Kollege Ernst.<br />
Befristung abschaffen!)<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Sie wären bereit, auf ein Viertel bzw. die Hälfte der<br />
heute neu entstehenden Arbeitsverhältnisse zu verzich- Klaus Ernst (DIE LINKE):<br />
ten.<br />
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und<br />
(Klaus Barthel [SPD]: So ein Quatsch!)<br />
Herren! Wir haben gerade wieder eine Rede gehört, Herr<br />
Dr. Kolb, die das Ziel der FDP klar definiert. Sie wollen<br />
Das ist die Wahrheit. Wir wollen, dass auch künftig eine Deregulierung der Arbeitsmärkte,<br />
Menschen eine Beschäftigungschance haben, mit Befristung,<br />
sachgrundlos und auch mit Sachgrund.<br />
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Wort „Deregulierung“<br />
habe ich nicht in den Mund genom-<br />
(Klaus Barthel [SPD]: Sie hätten so auch einen<br />
men!)<br />
Arbeitsplatz, weil sie gebraucht werden!)<br />
um die Löhne zu senken; denn Sie wissen, Herr Dr. Kolb<br />
– Herr Kollege Barthel, Sie machen manchmal Milch- – das unterstelle ich Ihnen jetzt einfach einmal –, dass<br />
mädchenrechnungen auf. Ich will Ihnen ein Beispiel aus bei befristet Beschäftigten die Angst, nach der Befris-<br />
unserem Themenfeld nennen, den Mindestlohn. Nach eitung nicht übernommen zu werden, dazu führt, dass die<br />
ner Prognos-Studie wären alle Probleme gelöst, wenn Betroffenen bereit sind, für weniger Lohn zu arbeiten,<br />
wir in Deutschland einen Mindestlohn von 8,50 Euro<br />
einführen würden. Dann würden die Einnahmen der Sozialversicherungen<br />
sprudeln. Dann wäre alles toll. Schlaraffenland!<br />
Diese Studie basiert auf einer Annahme:<br />
Man geht davon aus, dass die Beschäftigungseffekte der<br />
Einführung eines Mindestlohns gleich null wären. Das<br />
ist in der Praxis aber nicht zu erwarten.<br />
auch einmal eine Überstunde ohne Bezahlung zu machen<br />
oder längere Arbeitszeiten zu akzeptieren. Sie sind<br />
bereit, auch Demütigungen am Arbeitsplatz hinzunehmen.<br />
Wenn Sie hier der Befristung das Wort reden, zeigt<br />
das: Sie sind mit diesen Verhältnissen einverstanden.<br />
Das ist der Grund dafür, dass die FDP bei den Umfragen<br />
so schlecht dasteht, Herr Kolb, und das mit Recht, um<br />
Sie gehen von Folgendem aus: Auch wenn wir heute das einmal in aller Klarheit zu sagen.<br />
(B)<br />
die Befristungsmöglichkeiten streichen, würde in gleichem<br />
Umfang eingestellt werden. Aber das wird nicht<br />
funktionieren. Ich habe Ihnen das schon vor einem Jahr<br />
gesagt, als wir uns in der Frühphase des Aufschwungs<br />
befanden. Wenn Unternehmen die Zukunft nicht ab-<br />
(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald<br />
[DIE LINKE]: Das ist die Realität!)<br />
Nahezu jeder Zweite – fast 50 Prozent – derjenigen,<br />
die zurzeit neu eingestellt werden, wird nur noch befris-<br />
(D)<br />
schätzen können, stellen sie vernünftigerweise – das tet eingestellt. Ich habe auch einmal etwas Anständiges<br />
würden Sie, wenn Sie Unternehmer wären, auch nicht gelernt, nämlich Elektromechaniker.<br />
anders handhaben – befristet ein. Auch heute, ein Jahr<br />
später – wir sind über die Spitze des Aufschwungs möglicherweise<br />
schon hinweg; jedenfalls sind die Zeiten un-<br />
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wären Sie es<br />
besser geblieben!)<br />
sicherer geworden –, finde ich es noch gut, dass Unternehmen<br />
die Möglichkeit haben, befristet einzustellen.<br />
Das ist besser, als wenn sie überhaupt nicht einstellen,<br />
sondern versuchen, die Aufträge mit der bestehenden<br />
Belegschaft und mithilfe von Überstunden abzuarbeiten.<br />
Das ist schon eine Zeit her. Es war damals völlig selbstverständlich,<br />
dass man nach der Ausbildung in dem Beruf,<br />
den man erlernt hat, übernommen wurde. Da ist über<br />
die Frage einer Befristung nicht einmal diskutiert worden.<br />
War das damals eigentlich eine schlechtere Situa-<br />
Uns geht es darum, möglichst viele Menschen in Beschäftigung<br />
zu bringen. Dabei sind wir erfolgreich. Wir<br />
lassen uns auch von Ihnen nicht beirren. Wir werden<br />
weiter versuchen, möglichst viele Menschen in Arbeit zu<br />
bringen. Dabei werden wir die volle Breite, den gesamten<br />
Mix an Beschäftigungsformen, die uns zur Verfügung<br />
stehen, nutzen: Vollzeit wie Teilzeit, befristet wie<br />
unbefristet, Zeitarbeit, Mini- und Midijobs.<br />
tion für die Menschen, oder war das eine bessere Situation?<br />
Wenn Sie so tun, Herr Kolb, als sei die Situation<br />
jetzt besser, dann verkennen Sie, dass von den 2,7 Millionen,<br />
die gegenwärtig einen befristeten Arbeitsvertrag<br />
haben, nur 2,5 Prozent sagen: Ja, wir sind damit einverstanden,<br />
dass das befristet ist. – Die überwältigende<br />
Mehrheit der Betroffenen möchte eine ganz normale, unbefristete<br />
Beschäftigung.<br />
Sie wollen Rosinenpickerei betreiben. Aber damit Diejenigen, die nicht über eine unbefristete Beschäfti-<br />
sind die Erfolge am Arbeitsmarkt, die wir derzeit erfreugung verfügen, finden eine ganz andere Situation in ihlicherweise<br />
in Deutschland haben, nicht zu erreichen. rem Leben vor. Haben Sie schon einmal versucht, zum<br />
Das unterscheidet uns von Ihnen. Im Interesse der Men- Beispiel mit einem 21-, 22-Jährigen zu reden, der nur eischen,<br />
die arbeitslos sind und einen Eintritt in den Arnen befristeten Arbeitsvertrag hat und einen Kredit habeitsmarkt<br />
suchen, werden wir weiter die erfolgreiche ben möchte, weil er möglicherweise eine Familie grün-<br />
Politik dieser Bundesregierung fortsetzen.<br />
den will? Was glauben Sie, was die Bank zu dem sagt?<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Oder stellen Sie sich vor, er sucht eine Wohnung. Der<br />
Vermieter fragt: Wo schaffst Du denn? – In der und der<br />
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Firma. – Bist du da unbefristet beschäftigt? – Sagt der: