Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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15260 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A)<br />
Johannes Vogel (Lüdenscheid)<br />
zu beweisen und sich beim Arbeitgeber bekannt zu mazierte junge Menschen, unter anderem eine Physiothera- (C)<br />
chen, genutzt haben.<br />
peutin, die es, obwohl die Vorgesetzten ihr während der<br />
(Beifall bei der FDP)<br />
ganzen Zeit Hoffnungen gemacht haben, in drei Jahren<br />
nicht hinbekommen hat, einen festen Arbeitsplatz zu fin-<br />
Herr Ernst: Es kann doch – gerade mit Blick auf den inden.ternationalen Vergleich – nicht gut sein, die Chancen, die<br />
uns die Flexibilität am Arbeitsmarkt bringt, kaputtzumachen.<br />
Diese Menschen haben überhaupt erst eine Perspektive,<br />
weil sie einen Arbeitsplatz haben.<br />
Das andere Beispiel betraf eine junge Frau, die technische<br />
Übersetzerin in einem Unternehmen in Deutschland<br />
geworden ist, nachdem sie in Schweden einen unbefristeten<br />
Arbeitsvertrag hatte. In Schweden gab es das<br />
Wir sollten uns gemeinsam fragen: Wie sorgen wir für nicht; da hatte sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag.<br />
die notwendige Qualität der Arbeit? Was können wir in Wenn sie dort keinen unbefristeten Arbeitsplatz gehabt<br />
der Politik gemeinsam tun, damit es bei mehr Menschen hätte – jetzt in Deutschland ist das Arbeitsverhältnis be-<br />
weitergeht, also Einstieg auch Aufstieg bedeutet, und sie fristet –, hätte sie kein Kind in die Welt gesetzt; das sagt<br />
sich im Unternehmen weiterentwickeln können? Das sie ganz offen. Das sind Beispiele für das, was von un-<br />
Beste, was wir politisch dafür tun können – das wissen terschiedlichen Personen schon angesprochen wurde: die<br />
wir alle, die wir Statistiken des IAB lesen –, ist, in die Auswirkungen von Befristungen und prekärer Beschäfti-<br />
Qualifizierung der Mitarbeiter zu investieren.<br />
gung.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Klaus Diese und die vorherige Bundesregierung zeichnen<br />
Barthel [SPD]: Warum sollte man jemanden sich dadurch aus, dass sie in den letzten Jahren nichts ge-<br />
qualifizieren, den man befristet einstellt?)<br />
macht haben, was im Interesse der Beschäftigten gewe-<br />
Dazu nenne ich nur ein Beispiel: Die Koalition hat<br />
hier am letzten Freitag ein Gesetz verabschiedet, das dafür<br />
sorgt, dass die Weiterbildung von Mitarbeitern in allen<br />
kleinen und mittleren Unternehmen – von Beschäftigten,<br />
Herr Ernst, die den Einstieg geschafft haben –<br />
durch die Bundesagentur für Arbeit kofinanziert werden<br />
kann. Das ist ein echter Baustein des Arbeitsmarkts der<br />
Zukunft, der für eine bessere Perspektive der Menschen<br />
sen wäre. Die Überschrift heißt – das hat mein Kollege<br />
Klaus Ernst schon gesagt – „Deregulierung“, und das<br />
jetzt schon über Jahre hinweg. Es gibt keine Verbote.<br />
Lohndumping auf breiter Front ist überall erlaubt, über<br />
die Möglichkeiten der Befristung, der Leiharbeit, der<br />
Werkverträge, der Flexibilisierung, bis zum Erbrechen.<br />
Junge Fachkräfte bekommen keine Chance auf eine gesicherte<br />
Perspektive.<br />
sorgt.<br />
Am Samstag, dem 1. Oktober, also in zwei Tagen,<br />
(B)<br />
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des<br />
Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])<br />
protestieren die Jugendlichen der IG Metall in Köln gegen<br />
genau diese Lebensperspektive der prekären Beschäftigung,<br />
(D)<br />
Sie haben dagegen gestimmt. Dies passt leider ins Bild.<br />
Wir haben den Eindruck, dass Sie die guten Errungen-<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
schaften einer gesteigerten Flexibilität, die Sie selber zu<br />
Recht eingeführt haben, kaputtmachen wollen und sich<br />
nicht wirklich mit uns Gedanken machen wollen, wie<br />
wir die Perspektive aller Betroffenen verbessern können.<br />
unter dem Motto:<br />
„Laut und stark“ – Zukunft und Perspektive für die<br />
junge Generation<br />
Ich finde das schade. Ihre Anträge werden wir ablehnen. 15 000 Jugendliche werden erwartet, davon allein 1 500<br />
Vielen Dank.<br />
aus Niedersachsen.<br />
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)<br />
Arbeitgeber, besonders im Metallbereich, klagen über<br />
Fachkräftemangel;<br />
Vizepräsident Eduard Oswald:<br />
Vielen Dank, Kollege Vogel. – Jetzt spricht für die<br />
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Jutta<br />
Krellmann. Bitte schön, Frau Kollegin Krellmann.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)<br />
aber gleichzeitig müssen betroffene junge Beschäftigte<br />
für die Übernahme nach der Ausbildung kämpfen. Nach<br />
Aussage der IG Metall hangeln sich viele Jugendliche<br />
von Praktika zu einem befristeten Arbeitsverhältnis oder<br />
werden in die Leiharbeit gedrängt. Über 15 Prozent der<br />
jungen Menschen zwischen 15 und 25 sind erwerbslos.<br />
Allein das ist schon ein unglaublicher Skandal.<br />
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate<br />
Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />
NEN])<br />
Jutta Krellmann (DIE LINKE):<br />
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen<br />
und Kollegen! Vorletzte Woche wurde in der Zeitung<br />
Die Welt ein Artikel mit dem Titel „Die befristete Generation“<br />
veröffentlicht. Über der Überschrift stand nicht<br />
die Kategorie „befristete Arbeitsverhältnisse“, sondern<br />
das Wort „Zeitarbeit“, nicht „Leiharbeit“. Befristete Arbeit<br />
ist demnach Zeitarbeit. In dem Artikel sind junge<br />
Menschen zu Wort gekommen und hatten die Möglichkeit,<br />
ihre prekäre Situation zu schildern. Das waren aber<br />
keine unqualifizierten Menschen, sondern hochqualifi-<br />
25 Prozent der zwischen 20- und 25-Jährigen arbeiten in<br />
befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Ergebnis einer<br />
Umfrage der IG Metall, bei der circa 5 000 Betriebsräte<br />
befragt wurden, war, dass 42 Prozent der Neueinstellungen<br />
einen befristeten Arbeitsvertrag erhalten und 43 Pro-