Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011 15471<br />
(A) nicht unterhalb des Maßstabs der bisherigen EGMR- und unter Umständen die daraus folgenden Entschädi- (C)<br />
Rechtsprechung angesetzt werden wird, wollen wir prügungszahlungen im Detail gesetzlich geregelt werden.<br />
fen, ob den Belangen der Betroffenen mit den jeweils Ich bin überzeugt, dass wir mit der in den Beratungen<br />
ausgeurteilten Entschädigungshöhen hinreichend Rech- gefundenen Regelung dazu beitragen, dass das Vertrauen<br />
nung getragen wird. Gleiches gilt für die Anforderungen in die Arbeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften,<br />
an den Nachweis eines kausalen Vermögensnachteils. letztlich in den deutschen Rechtsstaat, gestärkt wird.<br />
Die parlamentarischen Beratungen können sicherlich Die Normen sind verfassungsrechtlich notwendig.<br />
nicht alle Unwägbarkeiten in Bezug auf die künftige Denn Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG sowie die<br />
Handhabung des neuen Rechtsmittels auflösen. Wenn Europäische Menschenrechtskonvention in Art. 6 Abs. 1<br />
beispielsweise befürchtet wird, dass künftig ein rügebe- fordern einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in<br />
fangenes Verfahren vorrangig gegenüber anderen Streit- angemessener Zeit. Die Regelungen sind aus der gerichtsachen<br />
behandelt wird, oder wenn die Sorge vor einer lichen Praxis heraus auch tatsächlich geboten. Sie wer-<br />
Schwemme von unangemessenen Verzögerungsrügen den eine Verkürzung der Dauer des Verfahrens bewir-<br />
geäußert wird, so liegt es an den Gerichten selbst, dies ken.<br />
(B)<br />
auszuräumen. Ich bin zuversichtlich, dass der Rechtsstaat<br />
auch an dieser Stelle in der Lage ist, Rechtsverletzungen<br />
präventiv zu verhindern oder eben angemessen<br />
zu entschädigen.<br />
Um jedoch zum Kontext, in dem dieses Gesetz steht,<br />
zurückzukehren: Gerade vor dem Hintergrund einer<br />
künftigen umfassenden Reform des Staatshaftungsrechts<br />
ist es aus meiner Sicht richtig, die Erfahrungen mit einem<br />
neuen Rechtsmittel detailliert zu erfassen und in allgemeine<br />
staatshaftungsrechtliche Beratungen einfließen<br />
zu lassen. Nicht umsonst haben wir uns im Koalitionsvertrag<br />
darauf verständigt, das Staatshaftungsrecht zu<br />
kodifizieren und einheitlich auszugestalten. Angesichts<br />
eines solch umfassenden Projekts, für das es in den vergangenen<br />
Jahrzehnten schon mehrere gescheiterte Anläufe<br />
für ein Staatshaftungsgesetz gab, ist es wichtig,<br />
auch einzelne Rechtsmittel wie das gegen Verfahrensüberlängen<br />
so auszuformen, dass sie ihrerseits der bisherigen<br />
Systematik entsprechen. Mit dem nun gestalteten<br />
Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren behalten<br />
wir die bisherige historisch entwickelte staatshaftungsrechtliche<br />
Systematik bei.<br />
Tatsächlich wird das Gesetz zu einer Bewusstseinsbildung<br />
und -schärfung auch mit Blick auf die Geschäftsverteilung<br />
der Gerichte führen. In Zukunft wird zum<br />
Beispiel ein Gerichtspräsidium Maßnahmen wie Umverteilungen<br />
innerhalb eines Gerichtes eher vornehmen, um<br />
Gerichtsverfahren gerade schneller zu erledigen und sich<br />
damit nicht dem Vorwurf eines überlangen Verfahrens<br />
auszusetzen. Auch wird es präventiv dazu führen, dass<br />
jeder Richter sich bemühen wird, zumindest vermeidbare<br />
Verfahrensverlängerungen, die in seinem Verantwortungsbereich<br />
liegen, zu verhindern. Der Präsident<br />
des Finanzgerichts in Baden-Württemberg, Dr. Hans-<br />
Peter Korte, hat es im Rahmen der öffentlichen Anhörung<br />
zu dem Gesetzentwurf am 23. März 2011 auf den<br />
Punkt gebracht: Er hat ausgeführt, dass „ein zeitgerechter<br />
Abschluss eines Verfahrens auch ein hohes Qualitätsmerkmal“<br />
ist. „Qualität der Justiz ist nicht nur, geschliffene<br />
Urteile zu schreiben, sondern auch in angemessener<br />
Zeit ein Verfahren zum Abschluss zu bringen.“ Sicherlich<br />
ist es so, dass man Richter nicht dem Vorwurf aussetzen<br />
sollte, lieber schnell anstatt richtig im Verfahren<br />
zu entscheiden. Aber die Befürchtungen, die auch immer<br />
(D)<br />
Das deutsche Staatshaftungsrecht ist mit seiner Vielzahl<br />
von Normen und Anspruchsgrundlagen bisher nicht<br />
transparent geregelt. Wenn es uns gelingt, die Regelungen<br />
in einem einheitlichen Gesetz zusammenzuführen,<br />
könnten wir eine nun mehrere Jahrzehnte diskutierte<br />
offene Wunde der Rechtspolitik schließen. Dabei geht es<br />
gar nicht so sehr um Veränderungen der Haftungsmaßstäbe<br />
und die Ausweitung des Entschädigungsumfangs,<br />
wieder vom Richterbund geäußert werden, die richterliche<br />
Unabhängigkeit werde dadurch beeinträchtigt, dass<br />
durch das Instrument der Verzögerungsrüge unzulässiger<br />
Druck auf diese ausgeübt werde, halte ich für abwegig.<br />
Auch ist die Befürchtung, dass mit dem Inkrafttreten des<br />
Gesetzes eine Flut von Verzögerungsrügen quer über die<br />
einzelnen Gerichte hereinbrechen könnte, sicherlich<br />
übertrieben.<br />
sondern um eine Systematisierung der Anspruchsgrundlagen.<br />
Ich bin zuversichtlich, dass wir nach der Schließung<br />
von wichtigen Baustellen wie dem Rechtsschutz<br />
bei überlangen Gerichtsverfahren in absehbarer Zeit<br />
auch ein transparent und schlüssig gestaltetes Staatshaftungsrecht<br />
auf den Weg bringen werden.<br />
Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass der<br />
vorliegende Gesetzentwurf aus meiner Sicht sachgerecht<br />
erscheint. Wir als SPD <strong>Bundestag</strong>sfraktion begrüßen zudem<br />
ausdrücklich das Ziel des Gesetzentwurfs, durch<br />
eine Konzentration der Verfahrens bei einem Gericht<br />
eine möglichst einheitliche Rechtsprechung in einem<br />
Land zu erreichen. Der pauschale Entschädigungsanspruch<br />
für immaterielle Schäden in Höhe von<br />
1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung ist zwar eher<br />
gering als zu hoch einzuschätzen. Aber durch die in dem<br />
Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen eingeführte<br />
Evaluierung des Gesetzes nach zwei Jahren kann<br />
diese Höhe im Rahmen der Evaluierung nochmal überprüft<br />
werden.<br />
Dr. Edgar Franke (SPD): Wir beraten heute in zweiter<br />
und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />
über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren<br />
und, was nicht vergessen werden darf, bei<br />
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.<br />
Worum geht es bei diesem Gesetzentwurf? Es geht<br />
darum, das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen und<br />
eine Rechtsschutzlücke im deutschen Recht zu schließen.<br />
Kurz: Es geht darum, dass die Verzögerungsrüge<br />
Aus Sicht der SPD wird dieses Gesetz generalpräventiv<br />
Druck auf die Gerichte insgesamt ausüben, die Ver-