Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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(B)<br />
15414 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />
(A) Umkehr von diesem Weg der Haushaltsdisziplin versün- den G20 schon weiter sein, wenn die deutschen Argu- (C)<br />
digt sich an der Zukunft Deutschlands und Europas. mente stärker berücksichtigt und Protektionismus für die<br />
eigene Finanzwirtschaft von Großbritannien und den<br />
USA nicht so massiv vorgebracht worden wären.<br />
Michael Brand (CDU/CSU): Diese heutige Entscheidung<br />
bedeutet eine große, eine sehr große Verantwortung.<br />
Es geht um mehr als um die akute Nothilfe für<br />
Griechenland und die Stabilisierung der Euro-Zone.<br />
Es kommt darauf an, nach bestem Wissen und Gewissen<br />
zu entscheiden. Das Wissen um die Folgen dieser<br />
schwerwiegenden Entscheidung hat niemand für sich gepachtet,<br />
es gibt für diese Operation keine „Blaupause“,<br />
kein „Drehbuch“. Die üblichen Sicherheiten und auch<br />
manche voll überzeugte Position sind angesichts der sehr<br />
unterschiedlichen, gar widersprüchlichen Einschätzungen<br />
auch seriöser Experten nicht überzeugend.<br />
Es ist jedem klar, dass es keinen Königsweg gibt –<br />
wir haben die Wahl und die Pflicht, uns für die Lösungsalternative<br />
zu entscheiden, die nach sorgfältiger Analyse<br />
die geringsten Risiken und die bestmögliche Aussicht<br />
auf die Lösung der Krise birgt.<br />
Im Ergebnis aller dieser Sorgen, der Faktoren und Argumente<br />
habe ich mehrfach und vielfach nachgefragt<br />
und hinterfragt, mich mit den Argumenten der Gegner<br />
wie der Befürworter intensiv befasst, bis in die letzten<br />
Tage und Stunden hinein.<br />
Ich will hier ausdrücklich nur sehr knapp die bekannten<br />
Argumente einbringen, die für eine dauerhafte Lösung<br />
erforderlich sind.<br />
Wir haben keine Euro-, sondern eine Schuldenkrise.<br />
Wer zu lange zu stark über seine Verhältnisse gelebt hat,<br />
der muss nun die Richtung ändern. Wir haben in<br />
Deutschland als dem stärksten EU- und Euro-Land die<br />
Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben. Wer die<br />
Schulden zu hoch treibt und damit die Verfassung bricht<br />
wie kürzlich die rot-grüne Regierung in NRW, wird zur<br />
Rechenschaft gezogen. Das muss auch in Europa so<br />
kommen, und andere Euro-Staaten haben begonnen, dies<br />
ebenfalls in ihren Verfassungen zu verankern. Dazu<br />
brauchen wir Sanktionsmechanismen, die den Bruch der<br />
Stabilitätskriterien teuer machen, ebenso wie präventive<br />
Maßnahmen zur Überwachung staatlicher Haushaltspolitik<br />
in den Euro-Ländern.<br />
Wir brauchen endlich eine internationale Regulierung<br />
der Finanzmärkte, auch wenn das ein bekannt schwieriges<br />
Thema ist. Wir müssen das Kasino beenden, und wir<br />
brauchen wieder Finanzmärkte, die nicht zocken, sondern<br />
seriöse Kredite an seriöse Kreditnehmer vergeben.<br />
Auch die Ratingagenturen, die mit ihren falschen, offenbar<br />
nicht geprüften Ratings in der Vergangenheit einen<br />
Hauptanteil an der Finanzkrise hatten, müssen kontrolliert<br />
werden. Die private Finanzwirtschaft muss an der<br />
Schadensbehebung unmittelbar beteiligt werden; erste<br />
Schritte sind getan, aber weitere müssen folgen, in Europa<br />
und global.<br />
Für Staaten und Banken, die der Krise am Ende doch<br />
nicht gewachsen sind, brauchen wir geordnete Verfahren<br />
für eine geordnete Insolvenz, die eben nicht andere mit<br />
in die Krise reißt. Hier könnten wir in Europa und bei<br />
Der Europäische Stabilitätsmechanismus – ESM –<br />
und der Europäische Rettungsfonds – EFSF – waren und<br />
sind neue Antworten und Instrumente, um auf eine völlig<br />
neue Herausforderung zu reagieren. Sie sollen vor allem<br />
eines bringen: die gemeinsame Kraft der weltweit<br />
immer noch starken Euro-Zone gegen die Krisen in einzelnen<br />
Euro-Ländern mit auf die Waagschale zu bringen,<br />
um ein Kippen der Lage zu verhindern und den schwierigen<br />
Weg aus der Krise geordnet zu gehen – statt in ein<br />
Finanz- und Wirtschaftschaos abzugleiten, mit enormen<br />
Wirkungen auf die Realwirtschaft, auf Mittelstand und<br />
Arbeitsplätze, auch hier in Deutschland.<br />
Schon bei der letzten großen Finanzkrise hat sich gezeigt,<br />
dass es „Gegenmittel“ gibt, die wir erfolgreich eingesetzt<br />
haben – nicht ohne Grund hat Deutschland eine<br />
im Vergleich zu anderen noch stärkere Position nach der<br />
Krise. Wir haben in der Krise die richtigen, jeweils erforderlichen<br />
Schritte eingeleitet, um Wachstum und Beschäftigung<br />
abzusichern und den Weg aus der Krise einzuleiten.<br />
Dass Wirtschaft und Gewerkschaften gleichermaßen<br />
dazu aufrufen, die Ausweitung des europäischen Rettungsschirms<br />
zu beschließen, ist ein nicht unwesentlicher<br />
Hinweis auf die breite Unterstützung des Kurses der<br />
Bundesregierung in dieser komplexen und nicht ungefährlichen<br />
Lage.<br />
Nicht zuletzt haben wir, die Deutschen, am stärksten<br />
vom Euro profitiert. Und wir werden unseren Teil der<br />
Verantwortung zur Stabilisierung der Schuldenkrise<br />
auch wahrnehmen. Dabei gibt es keinen Freibrief für<br />
Schuldensünder – für Hilfe muss Gegenleistung erbracht<br />
werden, und das verbindlich.<br />
Nachdem ich mich sehr bewusst während der Beratungen<br />
mit Argumenten und auch mit Abstimmungsverhalten<br />
für eine Verminderung der Risiken für die Steuerzahler<br />
und eine Stärkung der Beteiligungsrechte des<br />
Deutschen <strong>Bundestag</strong>es eingesetzt habe, kann ich heute<br />
nicht übersehen, dass es hier auch Fortschritte gegeben<br />
hat.<br />
Die Bürgerinnen und Bürger können sicher sein: Es<br />
wird keine zentralen Entscheidungen mehr geben ohne<br />
ausdrückliche Beteiligung ihres Parlamentes, in das sie<br />
die Abgeordneten mit ihrem Vertrauen entsendet haben.<br />
Wir Abgeordneten stehen umso mehr in der Pflicht,<br />
sorgfältig zu analysieren und die Sorgen der Menschen<br />
aufzunehmen.<br />
Wo Unsicherheit vorherrscht, ist Vertrauen mit das<br />
höchste Gut. Darum geht es ganz zentral: wieder Vertrauen<br />
schaffen. Vertrauen darauf, dass wir in Europa,<br />
mit aktiver deutscher Hilfe – als größter Wirtschaft in<br />
der EU –, die Krise meistern, wenn auch nicht von heute<br />
auf morgen. Vertrauen darauf, dass wir kommende kritische<br />
Phasen ordentlich überstehen, mit weniger Erschütterungen.<br />
(D)