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Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag

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(B)<br />

15378 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011<br />

(A)<br />

Dr. Jan-Marco Luczak<br />

würden verringert werden. Es gibt also durchaus gute nicht a priori verschließen – es gibt eine Reihe von guten (C)<br />

Argumente für diese Bundesratsinitiative.<br />

Argumenten, die hierfür sprechen, die dafür sprechen,<br />

dass Deutschland als Rechtsstandort gestärkt und sich<br />

daraus positive volkswirtschaftliche Effekte ergeben<br />

würden. Allerdings gibt es aus meiner Sicht noch einige<br />

Fragezeichen: Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung<br />

darf nicht eingeschränkt, Rechtsunsicherheiten<br />

durch das Auseinanderfallen von Prozesssprache und<br />

Sprache des materiellen Rechts müssen vermieden und<br />

der tatsächliche Bedarf muss ermittelt werden.<br />

Wahr ist aber auch, dass mit der Prozessführung in<br />

englischer Sprache eine gewisse Einschränkung der Gerichtsöffentlichkeit<br />

einhergeht. Nun mag es so sein, dass<br />

zwar die Verfahrensbeteiligten, die Rechtsanwälte und<br />

auch die Richter über gute Englischkenntnisse verfügen.<br />

Auch hier müssen wir allerdings genau hinschauen, ob<br />

die erforderlichen Sprachkompetenzen wirklich in ausreichendem<br />

Maß vorhanden sind oder ob nicht zusätzliche<br />

Ausbildung mit den entsprechenden Kosten notwendig<br />

ist. Selbst deutsche Juristen mit sehr gutem<br />

englischen Fachvokabular werden auf Anhieb nur mit<br />

Mühe einen „Kostenfestsetzungsbeschluss“, die „Drittwiderspruchsklage“,<br />

die „Haupt- oder Nebenintervention“,<br />

die „streitgenössische Nebenintervention“ oder<br />

den Begriff „Schriftsatznachlassfrist“ übersetzen können.<br />

Aber selbst wenn dies dahingestellt sei, so können<br />

wir jedenfalls nicht davon ausgehen, dass jeder Prozesszuschauer<br />

einem Prozess mit komplizierten juristischen<br />

Fachtermini in Englisch folgen kann. Wenn das aber so<br />

ist, ist dies zwar vielleicht nicht verfassungsrechtlich,<br />

aber doch rechtspolitisch durchaus fragwürdig. Ich verkenne<br />

nicht, dass das Bundesverfassungsgericht betont<br />

hat: „Prozesse finden in der, aber nicht für die Öffentlichkeit<br />

statt.“ Dennoch – die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung<br />

wurzelt im Demokratieprinzip und ist<br />

daher tragender Grundsatz unseres Prozessrechts – gilt:<br />

Einschränkungen bedürfen besonderer Rechtfertigung.<br />

Zu bedenken ist auch, dass die Rechtssprache integraler<br />

Bestandteil unserer in Deutschland gewachsenen<br />

Rechtskultur ist. Beides hat sich zusammen entwickelt,<br />

ist aufeinander bezogen. Rechtssprache und materielles<br />

Recht sind also auf das Engste miteinander verschränkt.<br />

Das bedeutet umgekehrt, dass es zu Unsicherheiten bei<br />

der Anwendung des materiellen oder auch prozessualen<br />

Rechts kommen kann, wenn in einem Prozess in englischer<br />

Sprache deutsches, also in deutscher Sprache abgefasstes<br />

Recht angewendet wird.<br />

Schließlich muss auch gefragt werden, ob für englischsprachige<br />

Kammern für internationale Handelssachen<br />

ein wirklicher Bedarf besteht. Am OLG Köln gibt<br />

es seit dem 1. Januar 2010 das Modellprojekt „Englisch<br />

als Gerichtssprache“. Die Überlegungen zu diesem Modellprojekt<br />

waren die gleichen, wie sie hier vom Bundesrat<br />

angeführt werden. Für das Modellprojekt haben die<br />

Landgerichte Köln, Aachen und Bonn je eine Kammer<br />

sowie das Oberlandesgericht Köln einen Senat eingerichtet,<br />

vor denen Zivilprozessparteien unter bestimmten<br />

Voraussetzungen in englischer Sprache verhandeln können.<br />

Nach gut eineinhalb Jahren gab es in diesem Modellprojekt<br />

sage und schreibe einen einzigen Fall – nämlich<br />

am Landgericht Bonn –, in dem die Parteien<br />

tatsächlich in Englisch verhandeln wollten. Das Berufungsverfahren<br />

am Oberlandesgericht Köln wurde hingegen<br />

wieder in deutscher Sprache durchgeführt. Auch<br />

diesen Umstand muss man bewerten.<br />

Als Fazit möchte ich daher nach allem festhalten:<br />

Grundsätzlich sollten wir uns der fakultativen Einrichtung<br />

von Kammern für internationale Handelssachen<br />

Diese Fragen werden wir im parlamentarischen Verfahren<br />

ergebnisoffen beraten, prüfen und abwägen. Für<br />

ein endgültiges Votum ist es an dieser Stelle daher noch<br />

zu früh.<br />

Burkhard Lischka (SPD):<br />

Das vorgeschlagene Gesetz will erreichen, dass bedeutende<br />

wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten künftig an<br />

deutschen Landgerichten ausgetragen werden. Deshalb<br />

sollen dort Kammern für internationale Handelssachen<br />

eingerichtet werden. Dort sollen die Prozesse in englischer<br />

Sprache geführt werden. Das bedeutet: Die mündliche<br />

Verhandlung wird auf Englisch geführt und auch<br />

Schriftsätze, Protokolle und Gerichtsentscheidungen<br />

sollen in englischer Sprache abgefasst sein. Lediglich<br />

der Tenor von Entscheidungen soll auch in die deutsche<br />

Sprache übersetzt werden.<br />

Ich weiß, dass der Deutsche Anwaltverein ein Unterstützer<br />

dieser Idee ist. Der Ausschuss für internationalen<br />

Rechtsverkehr erhofft sich einen größeren Anteil an<br />

internationalen Rechtsstreitigkeiten für deutsche<br />

Dienstleister. Ich weiß aber auch, dass die nicht ganz so<br />

großen Anwaltskanzleien nicht begeistert sind. Die<br />

Rechtsanwaltskammer Stuttgart hat mehr für diese Berufsgruppe<br />

gesprochen und den Entwurf als verfehlt bezeichnet.<br />

Nun machen wir das Recht ja nicht nur für die Anwälte,<br />

auch wenn wir uns freuen, wenn es ihnen gut geht.<br />

Das Recht, auch das Prozessrecht, ist für die Bürger und<br />

für die Unternehmen da.<br />

Und deshalb ist meine erste Frage: Wollen die betroffenen<br />

Unternehmen überhaupt ihre internationalen<br />

Handelsstreitigkeiten vor deutschen staatlichen Gerichten<br />

austragen? Fakt ist doch, dass „die internationale<br />

Handelsschiedsgerichtsbarkeit die ordentlichen Gerichte<br />

im Bereich der grenzüberschreitenden Streitschlichtung<br />

weitgehend verdrängt hat“. So heißt es in<br />

dem im Gesetzentwurf zitierten Beitrag von Professor<br />

Gralf-Peter Calliess und Hermann Hoffmann. Ja, das ist<br />

so. Aber warum freuen wir uns nicht darüber?<br />

In allen anderen Bereichen fördern wir die außergerichtliche<br />

Streitbeilegung. „Schlichten statt Richten“<br />

heißt das Motto bei kleineren Streitwerten und Nachbarschaftsstreitigkeiten.<br />

Dort sind wir teilweise sehr weit<br />

gegangen und schreiben dem einfachen Bürger den<br />

Gang zur Schlichtungsstelle vor, bevor er sich an das<br />

staatliche Gericht wenden darf. Wir haben auch die Mediation<br />

entdeckt und freuen uns, wenn die Menschen ei-<br />

Zu Protokoll gegebene Reden<br />

(D)

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