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vollständige Diplomarbeit - Socialnet

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Lejla spricht an, dass es für „Bosnier“ nicht selbstverständlich ist, ‚psychische Probleme’<br />

zu haben. Psychische Schwierigkeiten zu haben oder eine Therapie zu machen, ist in der<br />

jugoslawischen Kultur 145 nicht positiv konnotiert. („Wenn du sagst, dass du eine Therapie<br />

machst, dass du zum Beispiel bei einem Psychologen bist, dann heißt das, dass du dumm<br />

bist.“) Angenähert hat Lejla sich an die Idee eine Psychotherapie zu machen über<br />

amerikanische Filme im Fernsehen über Selbsthilfegruppen für anonyme Alkoholiker. Sie<br />

konnte sich vorstellen, dass es helfen könnte, mit anderen Menschen zusammenzukommen,<br />

die ähnliches erlebt haben und darüber zu reden. Dies tat sie zunächst heimlich vor der<br />

Familie, erst nach einem Jahr hat sie offen erzählt, wo sie hingeht. ‚Traumatisiert’ zu sein,<br />

thematisiert Lejla als einerseits stigmatisierend, weil es eine psychische Krankheit ist. Auf der<br />

anderen Seite stellt die ‚Traumatisierung’ auch eine sozial ‚erlaubte’ Krankheit dar, wenn die<br />

Beschwerden auf die Erlebnisse im Krieg zurückgeführt werden.<br />

Es scheint in dem Gespräch mit Lejla durch, dass eine von einer Psychologin oder<br />

Psychiaterin diagnostizierte Traumatisierung ihr in ihrem Ziel, eine Befugnis zu erlangen,<br />

hilft. Die Diagnose in der von ihrer Therapeutin verfassten psychologischen Stellungnahme<br />

ist in einer Sprache geschrieben ist, die Lejla nicht versteht. („Und dann diese Diagnose, das<br />

versteh ich nie, was da steht.“) Jedoch versteht Lejla deren Konsequenz. („Nachdem hab ich<br />

so ein Jahr, ein Duldung für ein Jahr bekommen. Das heißt, dass dann die Diagnose ziemlich<br />

stark war.“) Lejla setzt eine Verbindung zwischen Attest, Stärke der Diagnose und<br />

Verlängerung des Aufenthalts. Damit nimmt sie eine weitreichende Macht der Gutachterin an.<br />

Ob diese Macht wirklich so weitreichend ist, oder Lejla sie überschätzt, ist an dieser Stelle<br />

nicht vertieft worden.<br />

Lejla trennt wenig zwischen der Begutachtung einer Traumatisierung und der Therapie. Eine<br />

Therapie und die Attestierung dieser Therapie sind für Lejla verzahnt. Dies ist verständlich,<br />

da ihre Begutachtung innerhalb einer Gruppentherapie von ihrer Therapeutin erfolgt ist. Die<br />

psychologische Stellungnahme selbst beinhaltet eine Bescheinigung der Teilnahme an der<br />

Gruppentherapie sowie eine Diagnose und eine Anamnese. Auch der Zeitpunkt des<br />

gutachterlichen Gesprächs spielt für Lejla eine Rolle. Sie fühlte sich nicht genötigt, ihre<br />

Geschichte vor einer Person, die sie nicht kennt, oder der sie kein Vertrauen schenkt,<br />

auszubreiten. Die Begutachtung erfolgte nicht auf äußerlichen zeitlichen Druck der<br />

Ausländerbehörde, sondern genau dann, als Lejla bereit war, sich mehr zu öffnen und etwas in<br />

145 Auch wenn die ‚jugoslawische Kultur’ als solche keine staatliche Grundlage mehr hat, es Jugoslawien gar<br />

nicht mehr gibt, wird dieser Begriff hier verwendet, um auf in Gebiet des ehemaligen Jugoslawien geteilten<br />

Bedeutungen hinzuweisen. Auch weist Lejla im Gespräch indirekt auf diese geteilten Bedeutungen hin („unsere<br />

Mentalität ist ja so, weißt du ja“).<br />

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