vollständige Diplomarbeit - Socialnet
vollständige Diplomarbeit - Socialnet
vollständige Diplomarbeit - Socialnet
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Ausreisefrist in der Grenzübertrittsbescheinigung abgelaufen war, wurde eine zwangsweise<br />
Rückführung geprüft und ggf. auch vollzogen. 1997 wurden 74 Abschiebungen aus Berlin<br />
nach BiH durchgeführt, 1998 waren es schon 316 (vgl. Lützel 1999). Nicht mitgezählt sind<br />
Menschen, die aufgrund des Drucks der Behörden das Land ‚freiwillig’ verließen. Durch die<br />
hohe Anzahl von Binnenflüchtlingen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, waren diese<br />
abgeschobenen bzw. rückgekehrten Menschen häufig weiterhin Flüchtlinge, allerdings unter<br />
noch schlechteren Lebensbedingungen, als in der BRD 38 .<br />
Als letzte Gruppe sollten schließlich alte und kranke Flüchtlinge abgeschoben werden.<br />
Flüchtlinge über 65 Jahre sollten von einer Abschiebung verschont werden, insofern ihre<br />
engen Familienmitglieder in der BRD aufhältig waren 39 . Unter kranken Flüchtlingen wurden<br />
speziell ‚Kriegstraumatisierte’ genannt. Von einer ‚Rückführung’ sollten „traumatisierte<br />
Personen, die deswegen mindestens seit dem 16. Dezember 1995 in ständiger (fach-)ärztlicher<br />
Behandlung [waren, K.R.], längstens bis zum Abschluss ihrer Behandlung“ ausgenommen<br />
werden (Rückführungsabkommen 1997, S. 744). Da nur eine fortlaufende Behandlung vor<br />
Abschiebung schützen konnte (dies auch nicht musste), bedeutete schon zu diesem Zeitpunkt<br />
„Gesund werden [...] Abschiebung“ (Knorr & Weber 2003, S. 58). Im Kontext des Verfahrens<br />
zur Feststellung der Rückführbarkeit von bosnischen Flüchtlingen „führte die Diagnose der<br />
PTSD zum ersten Mal zu einer rechtlichen Sonderstellung traumatisierter Flüchtlinge in der<br />
BRD“ (Lützel 1999, S. 55). Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in BiH,<br />
insbesondere fehlender Versorgungskapazitäten für psychisch Kranke bzw. ‚Traumatisierte’,<br />
sollten Duldungen über ein Jahr ausgestellt werden. Diese mangelhafte medizinische<br />
Versorgung wurde explizit für ‚Kriegstraumatisierte’ als ‚Gefahr für Leib und Leben’<br />
eingestuft 40 .<br />
2.4.3. Schutz durch attestierte und behandelte ‚Kriegstraumatisierung’ und<br />
Zweitbegutachtung durch den Polizeiärztlichen Dienst<br />
Eine einjährigen Duldung nach § 55 AuslG 41 bzw. § 53 Abs. 6 42 wurde in Berlin an<br />
‚kriegstraumatisierte’ Flüchtlinge mit bosnischer Staatsbürgerschaft mit Inkrafttreten der<br />
38 Die Gruppe der RückkehrerInnen ist meist gesellschaftlich und sozial noch schlechter gestellt, als<br />
Binnenflüchtlinge, welche die Region nicht verlassen haben. Sie können noch weniger auf<br />
Unterstützungsstrukturen zurückgreifen, auch bestehen häufig Ressentiments und ein Unverständnis darüber,<br />
dass sie aus dem Krieg geflohen sind und es nicht geschafft haben, in Westeuropa Fuß zu fassen (vgl.<br />
Ognjenovic & Škorc 2003).<br />
39 Dies wird auch heute noch in der Praxis immer wieder missachtet, indem auch weit über 65 jährige<br />
abgeschoben werden, auch wenn sie hinzukommend attestiert krank sind (vgl. hierzu Internationale Liga für<br />
Menschenrechte e.V. 2002).<br />
40 Wie schon oben angemerkt stellt die ‚Gefahr für Leib und Leben’ ein Abschiebehindernis bei Abschiebung<br />
bzw. Rückführung nach § 53 Abs. 6 AuslG dar. Siehe dazu Fußnote 29.<br />
41 AuslG § 55 Duldungsgründe Siehe Fußnote 18.<br />
23