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vollständige Diplomarbeit - Socialnet

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Die Begutachtung von (potentiell) ‚traumatisierten’ Flüchtlingen stellt sich durch die<br />

Institutionalisierung eines psychiatrischen Diagnosebildes als problematisch dar. Viele der<br />

KlientInnen können dem „Modellfall eines ideal traumatisierten Patienten [nicht gerecht<br />

werden, K-R.], d.h. normale psychische Struktur bis zur traumatischen Erfahrung und<br />

erfolgendem Zusammenbruch. Einen solchen Patienten gibt es natürlich nicht. Wenn es ihn<br />

aber nicht gibt, fangen die Probleme an“ (Becker 1995 S. 116). Auf dieses Problem wurde<br />

schon in den vorangehenden Kapiteln eingegangen, die Argumente und Problematisierungen<br />

diesbezüglich werden hier nicht noch einmal wiederholt.<br />

Die heutige Situation hat wenig mit den Absichten der PraktikerInnen gemein. Zu Beginn<br />

der 90er Jahre nahmen sie mit der Intention, ihre KlientInnen zu unterstützen, Stellung zu<br />

deren psychischer Verfassung.<br />

„Wie eine typische „self fullfilling prophecy” wurde der Prozess der klinischen<br />

Begutachtung von schutzbedürftigen Patienten ad absurdum geführt: Anstatt die<br />

Möglichkeit einer qualitativen Verbesserung von Entscheidungsfindung zugunsten<br />

der am meisten Schutzbedürftigen, übernahmen die Behörden in ihrer Befürchtung,<br />

dass ein neues Schlupfloch für Flüchtlinge auftun würde, in der Regel ein durch<br />

Fachleute zu prüfendes und zu beweisendes aber nichtsdestotrotz extrem verkürztes<br />

Traumaverständnis, so etwa nach dem Motto: 'Trauma= Krankheit=<br />

Behandlungsbedürftigkeit= falls nicht existent oder unbehandelt oder falls<br />

erfolgreich behandelt oder falls Therapeuten im Heimatland existieren, dann kann<br />

abgeschoben werden.' Damit wurde auf Flüchtlingsseite in ihrem Bemühen, ihre<br />

Probleme dem Problemverständnis der Behörden anzupassen, ein Run auf die<br />

Beratungsstellen ausgelöst, um so ihre Chancen nach einer Basisabsicherung ihrer<br />

Existenz in Deutschland zu erhöhen“ (Best Practice 2004, S. 1).<br />

Wie in diesem und vorangehenden Kapiteln aufgezeigt, ist die Begutachtung von<br />

(potentiell) ‚traumatisierten’ Flüchtlingen mit unterschiedlichen Interessenslagen verwoben.<br />

Diese sind wiederum weniger fachlich bestimmt, als politisch. Die politisch zu lösende Frage,<br />

in welcher Form Zuwanderung geregelt werden soll, und wie mit jenen Flüchtlingen<br />

umgegangen wird, die schon in Deutschland leben, wird so z.T. verlagert auf die fachliche<br />

Feststellung des Vorliegens einer bestimmten psychiatrischen Erkrankung. Durch das<br />

Einbringen von klinisch- fachlichen Expertisen in aufenthaltsrechtliche Verfahren hat jedoch<br />

eine Teilhabe am System der staatlichen Reglementierung von Zuwanderung und schon<br />

Zugewanderten mit sich gebracht.<br />

„Sie werden in staatliche Selektionsstrategien mit einbezogen, indem sie zwischen<br />

den Bedürftigeren und weniger Bedürftigen mittels Diagnostik und Attestierung<br />

unterscheiden. Psychologen halten eine Türsteher- und Kontrollfunktion inne, indem<br />

sie den pathologischen Gehalt des Leidens der Flüchtlinge messen und bei Bejahung<br />

eines vorgegebenen Ausmaßes den Zugang zu ‚Entschädigung’ öffnen. Gleichzeitig<br />

mit der Bescheinigung und der Selektion durch Auswahl Einiger, wird die<br />

Abschiebung der Anderen quasi legitimiert. Mithilfe wissenschaftlicher<br />

Begründungskonzepte werden die Entscheidungen der Behörden unangreifbar und<br />

erscheinen weniger verwerflich, außerdem werden sie durch die psychologisch-<br />

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