vollständige Diplomarbeit - Socialnet
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Zunächst wurde die Behandlung psychisch reaktiver Schäden den entsprechenden<br />
KlientInnen attestiert. Aber die BehandlerInnen dokumentierten auch die Geschichten der<br />
KlientInnen von Verfolgung und Vertreibung in ihrem Verlauf, wenn ihre KlientInnen ihre<br />
Verfolgungsgeschichte im aufenthaltsrechtlichen Verfahren nicht erzählt oder nur angedeutet<br />
hatten. Die Aufnahme von Beschwerden, Symptomen und psychiatrischen Diagnosen erfolgte<br />
anfangs unsystematisch und kurz (vgl. Bittenbinder 2000a; Koch & Winter 2001; Wenk-<br />
Ansohn 1999). Für das Einbringen von klinisch- fachlichen Expertisen in<br />
aufenthaltsrechtliche Anerkennungsverfahren gab es keinerlei rechtliche Grundlagen 96 .<br />
Dass zunehmend mehr Anfragen zur Begutachtung an die PraktikerInnen herangetragen<br />
wurden, hängt m.E. einerseits mit der Verschärfung des deutschen Asylrechts von 1993<br />
zusammen, in dessen Folge eine Anerkennung politischer Verfolgung immer seltener wurde.<br />
Folge war und ist nach wie vor, dass die Geltungmachung von Abschiebehindernissen eine<br />
zunehmend größere Rolle spielt 97 . Die Begutachtung hat seit den 90er Jahren immer mehr<br />
Raum in der psychosozialen Arbeit mit Flüchtlingen eingenommen. Zwar heißt es noch 2001<br />
in der Einleitung der von der BAFF herausgegebenen Richtlinien für die psychologische und<br />
medizinische Untersuchung von traumatisierten Flüchtlingen und Folteropfern: „So sollte der<br />
Einsatz von Begutachtung im Asylverfahren eher die Ausnahme bleiben, als zur Regel<br />
erhoben zu werden. Die Zentren sollten sich deshalb bei ihren gutachterlichen Aktivitäten<br />
auch nur auf begründete Einzelfälle beschränken“ (Koch & Winter 2001. S, 16). Auch wurde<br />
1999 noch von der Mitarbeiterin des BZFO 98 Wenk- Ansohn öffentlich gesagt „unsere<br />
Stellungnahmen haben einen Umfang von ca. 2- 3 Seiten“ (dies. S. 31). In der Berufspraxis<br />
sieht die Situation jedoch anders aus. Gutachterliche Stellungnahmen haben einen Umfang<br />
von 10 bis 20 Seiten, vom Verwaltungsgericht in Auftrag gegebene 99<br />
Sachverständigengutachten umfassen nicht selten 40 Seiten 100 , auch wenn keine offiziellen<br />
Richtlinien zum Umfang eines Gutachtens im aufenthaltsrechtlichen Verfahren vorliegen.<br />
Durch die zunehmende Begutachtungstätigkeit der PraktikerInnen entstand eine Situation<br />
„in welcher immer weniger Zeit für Behandlungen bleibt, weil die Mitarbeiter damit<br />
beschäftigt sind, zu prüfen, ob Hilfesuchende denn nun traumatisiert sind oder nicht.<br />
Statt traumatisierte Patienten zu behandeln und ihnen zu helfen, sind wir zu einer<br />
96 Dass diese Schreiben trotzdem erfolgreich waren, liegt wahrscheinlich am Kooperationswillen, vielleicht auch<br />
am Mitgefühl der einzelnen entscheidungstragenden MitarbeiterInnen des BAFl/BAMF, der Ausländerbehörden<br />
bzw. der einzelnen VerwaltungsrichterInnen für die dokumentierten Einzelschicksale der betreffenden<br />
Flüchtlinge.<br />
97 Vgl. dazu Kapitel Zwei.<br />
98 Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin.<br />
99 Und vom Gericht bezahlte Sachverständigengutachten.<br />
100 Diese Zahlen beziehen sich auf die Erfahrung der Verfasserin der <strong>Diplomarbeit</strong> in der Begutachtungspraxis in<br />
unterschiedlichen Berliner Behandlungszentren.<br />
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