vollständige Diplomarbeit - Socialnet
vollständige Diplomarbeit - Socialnet
vollständige Diplomarbeit - Socialnet
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Es wurden zunächst klinisch fachliche Stellungnahmen aus einem Therapieprozess heraus<br />
verfasst. Aus dem Selbstverständnis als UnterstützerInnen ihres Klientels „haben einzelne<br />
Zentren in der Vergangenheit immer wieder versucht, ihre Erfahrungen und Beobachtungen<br />
aus dem therapeutischen Prozess in das Asylverfahren ihrer Klientinnen und Klienten in Form<br />
von Befundberichten, Stellungnahmen und Gutachten einzubringen“ (Koch & Winter 2001, S.<br />
12). Handlungsleitend war die Ansicht, dass es ihre „berufsethische Verpflichtung [sei, K.R.],<br />
in Form einer ärztlichen oder psychologischen Stellungnahme für das Asylverfahren Zeugnis<br />
abzulegen über das, was wir in unseren diagnostischen Sitzungen festgestellt haben“ (Wenk-<br />
Ansohn 1999, S. 30). Auch die im Kontakt mit den KlientInnen immer wieder beobachtete<br />
„destruktive Wirkung, die Bagatellisierung oder gar der amtlich beurkundete Zweifel an der<br />
Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Gewalterfahrungen für den Betroffenen und seine<br />
psychische Gesundheit“ (Koch & Winter 2001, S. 12) spielte eine Rolle bei der Entscheidung<br />
von BehandlerInnen, Stellungnahmen für ihre KlientInnen zu verfassen. Dieses Einbringen<br />
von therapeutischen bzw. psychologischen oder medizinischen Expertisen in<br />
aufenthaltsrechtliche Verfahren war relativ erfolgreich.<br />
„Tatsächlich konnten durch die engagierten Stellungnahmen der behandelnden<br />
Zentren negative Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung<br />
ausländischer Flüchtlinge in einigen Fällen revidiert werden mit Informationen, die<br />
erst im therapeutischen Prozess zugänglich wurden“ (Koch & Winter 2001, S. 13).<br />
Die BehandlerInnen hofften durch die Verfassung gutachterlicher Stellungnahmen im<br />
aufenthaltsrechtliche Verfahren zu bewirken, dass die besondere Belastung ihrer KlientInnen<br />
berücksichtigt würde. Auch wollten sie ihren KlientInnen helfen, die im Therapieverlauf<br />
meist erst im Detail erzählten, was sie im Herkunftsland erlebt haben, warum sie nicht<br />
rückkehren wollen oder können (vgl. Bittenbinder 2000a; Koch & Winter 2001; Koch 2001;<br />
Wenk- Ansohn 1999). Im Asylverfahren müssen Flüchtlinge in der ‚Asylanhörung’ 93 geltend<br />
93 Diese Befragung, durchgeführt vom BAFl/ BAMF, ist in vielerlei Hinsicht kritisiert worden. In einer von<br />
Weber 1998 durchgeführten quantitativen „Empirischen Analyse vom 40 Asylanhörungsprotokollen und<br />
Asylentscheiden“ (Weber 1998, S. 116) wurde nachgewiesen, dass „die Probleme und Erlebnisse von<br />
asylsuchenden Folteropfern [...] im Asylverfahren kaum wahrgenommen“ (Weber 1998, S. 147) werden. In der<br />
Praxis von Asylanhörungen herrsche „mangelndes Interesse am aktuellen Gesundheitszustand“ (Weber 1998, S.<br />
151) der Flüchtlinge, „geringes Interesse und Unprofessionalität im Umgang mit Folteropfern und –berichten“<br />
(Weber 1998, S. 153), wie mangelnde „Sorgfalt bei [...] Übersetzungen“ (Weber 1998, S. 157). Frauen trügen in<br />
einer solchen Anhörungssituation erfahrene sexualisierte Gewalt oder Folter eher nicht vor, wenn BefragerInnen<br />
und SprachmittlerInnen männlichen Geschlechts seien (vgl. Weber 1998). Eine erst jüngst durchgeführte Studie<br />
(Gäbel et. al. 2004) bestätigte nochmals, dass die Entscheidungen über das Vorliegen einer PTSD von<br />
EinzelentscheiderInnen der BAFl/ BAMF nur zufällig mit psychologischen Testverfahren und Einschätzungen<br />
von KlinikerInnen übereinstimmen. KlinikerInnen schätzten 40% der untersuchten 76<br />
AsylerstantragsstellerInnen als traumatisiert ein, der psychologische Test PDS (Posttraumatic Diagnostic Scale)<br />
kam auf 60%, wohingegen auf das Erkennen einer PTSD geschulte EinzelentscheiderInnen 0 bis maximal 10%<br />
der AntragstellerInnen als traumatisiert einschätzten. Diese 0- 10% stimmten auch nicht überein mit den durch<br />
den Test und Untersuchung von KlinikerInnen als traumatisiert eingestuften Menschen (vgl. Gäbel et. al. 2004).<br />
72