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Die Konzentration auf die belastenden Lebensbedingungen in Deutschland vermag das<br />
Dilemma nicht zu lösen, welches um die Frage kreist: sind alle Flüchtlinge traumatisiert, weil<br />
sie Flucht, Vertreibung und Migration erlebt haben? Würde sich die Attestierung einer<br />
Traumatisierung in einem weniger wirkmächtigen Raum bewegen, als durch die Weisung der<br />
IMK vom November 2000 91 geschehen, wäre diese Frage nicht so prekär. Stellen würde sie<br />
sich dennoch. Die Prävalenzrate von PTSD bei Flüchtlingen wird von den PraktikerInnen<br />
unterschiedlich hoch eingeschätzt. Koch geht davon aus, dass mindestens ein Drittel der nach<br />
Deutschland eingereisten Flüchtlinge „an einer traumabedingten Störung erkrankt ist oder<br />
war“ (Koch 2001, S. 11). Rauchfuss (2005) führt an, dass internationale Statistiken von einer<br />
Prozentzahl von 5- 30% ‚traumatisierter’ Flüchtlinge ausgehen. In der 2003 von Refugio<br />
Schleswig Holstein herausgegebenen „Leitlinie Gute Praxis“ ist die Rede von 30 bis über<br />
90% der Überlebenden von Man Made Desasters, die ‚Posttraumatische Störungen’<br />
entwickeln. Laut einer Positionsbestimmung der Flüchtlingsverbände Hessens 2004 wird von<br />
„Prävalenzraten für Posttraumatische Belastungsstörungen bei Folteropfern etwa bei 50-<br />
70%“ (AGAH 2004, S. 12) ausgegangen, „bei Kriegs- und Folteropfern, die hierbei auch<br />
sexualisierten Gewalterfahrungen ausgesetzt waren, liegt die Wahrscheinlichkeit für eine<br />
Erkrankung noch höher“ (ebd.). Diesen Einschätzungen steht entgegen, wie es Summerfield<br />
(1997) kritisch anmerkte, , dass der fachliche Nachweis, ob erfahrene extreme Gewalt eine<br />
PTSD mit hoher Wahrscheinlichkeit auslöst, noch aussteht.<br />
Den Bemühungen um adäquatere Trauma- Konzepte sind jedoch aus einem anderen<br />
Grund klare Grenzen gesetzt. Im offiziellen Schriftverkehr mit Entscheidungstragenden wird<br />
es kaum akzeptiert werden, wenn anstelle eines wissenschaftlichen international anerkannten<br />
psychiatrischen Diagnosebildes nach einem alternativen Konzept diagnostiziert wird, wie<br />
bspw. das Konzept der sequenziellen Traumatisierung nach Keilson oder einer<br />
Extremtraumatisierung nach Becker. Da es in der klinisch- fachlichen Berufspraxis mit<br />
Flüchtlingen in der Attestierung einer Traumatisierung immer mehr darum geht, sich in die<br />
Diskussion als ExpertInnen einzubringen und nach außen ein möglichst gesichertes und<br />
wissenschaftlich fundiertes Wissen vorzubringen, ist es nicht verwunderlich, dass sich die<br />
Praxis der Attestierung einer Traumatisierung ausschließlich auf PTSD beschränkt. Allenfalls<br />
wird in einer Anmerkung darauf hingewiesen, dass die Person bspw. zusätzlich an einer<br />
sequentiellen Traumatisierung nach Keilson leide.<br />
In der psychosozialen Berufspraxis, insbesondere in der Begutachtungspraxis ist eine<br />
Konzentration auf die Erlebnisse im Herkunftsland nachvollziehbar, da dem Eindruck vorab<br />
91 Siehe hierzu Kapitel Zwei.<br />
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