Ein compendium sumerisch-akkadischer Beschwörungen
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4.5. Beschwörung 5 209<br />
vorsieht (máš gaba-ri), und daß das folgende Ritual (§ 6) ein Ersatzbildnis vorschreibt (alan<br />
ní˜g-sa˜g-íl-la), auch dies ein Substitut im magischen Sinne. Von dieser Plazierung ausgehend,<br />
könnte man auch im vorliegenden Text zunächst die Verwendung eines Substituts annehmen,<br />
wenn man voraussetzt, daß innerhalb des Compendiums eine gewisse inhaltliche Ordnung für<br />
die Reihenfolge der <strong>Beschwörungen</strong> gilt. 71<br />
Die Annahme, daß die Taube als Substitut diene, stößt indes auf Schwierigkeiten, vor allem<br />
auf die, daß die ansonsten in Substitutionsritualen übliche Formulierung fehlt, die die Gleichsetzung<br />
des Substituts mit dem Kranken herstellt. Sie ist in § 4 besonders ausführlich (Z. 17 f.):<br />
Der Ziegenbock ist der Ersatz (ní˜g-sa˜g-íl-la) für die Menschheit“, weiter in Z. 19–44. In § 6 ist<br />
”<br />
sie kürzer, doch ausdrücklich formuliert: Sein Bildnis sei vor Utu (Šamaš) der Stellvertreter<br />
”<br />
für ihn (ki-bi-in-˜gar-ra, akkadisch u), sein Bildnis sei vor Utu (Šamaš) der Ersatz (ní˜g-sa˜gíl-la,<br />
akkadisch dinānu) für ihn“ (Z.<br />
pūh˘<br />
50–53, vgl. auch schon Z. 30–33). Da eine entsprechende<br />
Formulierung im vorliegenden Ritual fehlt, wird man die Möglichkeit ausschließen können,<br />
daß die Taube als Substitut des Kranken fungieren soll.<br />
Ihre Funktion läßt sich jedoch etwas genauer beschreiben, wenn wir zwei kurze <strong>Beschwörungen</strong><br />
betrachten, die bei der Freilassung von Vögeln in magischen Ritualen zu<br />
rezitieren sind.<br />
1. In einem assyrischen Ritual zur Investitur des Königs findet sich eine akkadische Beschwörung,<br />
die wohl bei der Freilassung eines Vogels zu rezitieren ist. Sie lautet wie folgt:<br />
17 at-ta iṣṣūr(MUŠEN) šamê(AN-e) bi-nu-ut [ d A-nim]<br />
18 ana-ku a-mi-lu-tu bi-nu-ut d N[in-men-an-na]<br />
19 al-[s]i- ⌈ i ⌉ lú ušandâ(MUŠEN-DÙ) i-ba-a[r-ka]<br />
20 aṣ-ṣur napišta(ZI)-ka-ma ú-kal-lim-k[a nūra]<br />
21 at-ta d Šamši(UTU-ši) u-ṣur n[a-pištī(-ma)]<br />
22 ki-i šá ana iṣṣūri(MUŠEN) an-ni-i na-piš-ta a-[qīšu]<br />
23 ia-a-ši na-piš-ti qí-šá T[U 6 ÉN]<br />
(Meier, AfO 12, 43 Rs. 17–23, wiederholt bei Berlejung, UF 28 [1996] S. 10 und<br />
16. 72 )<br />
17 Beschwörung. Du bist ein Vogel des Himmels, ein Geschöpf [des Anu], 18 ich<br />
bin ein Mensch, ein Geschöpf der N[inmenanna]. 19 Ich rief den Vogelfänger, er<br />
fing [dich]. 20 Ich bewahre (hiermit) dein Leben, lasse dich [das Licht] sehen –<br />
21 bewahre (nun) du, Šamaš, [mein Leben]! 22 Ebenso, wie ich diesem Vogel (hiermit)<br />
das Leben schenke, schenke du mir mein Leben!<br />
Kommentar: Z. 17 und 18 wurden ergänzt nach Ebeling, LKA Nr. 151 Z. 15 f. (s. unten, 2.). –<br />
Die praeteritalen Verbalformen in Z. 20 und 22 verstehe ich als sogenannten Koinzidenzfall.<br />
Vgl. zu diesem Tempusgebrauch in Ritualen Mayer, StPSM 5, S. 183 ff.<br />
Sprecher dieser Beschwörung, die durchweg in der 1. Person gehalten ist, ist der Kranke,<br />
an dem das Ritual vollzogen wird (in diesem Falle der König). In unserem Text (§ 5) ist die<br />
handelnde Person jedoch der Beschwörungspriester, wie ganz allgemein in den Ritualen des<br />
Marduk-Ea-Typs. Dies ist ein wichtiger Unterschied, der auf die verschiedene Struktur der betreffenden<br />
Rituale zurückzuführen sein dürfte. Die Freilassung des Vogels in attā iṣṣūr šamê<br />
71 Zu dieser Frage s. ausführlicher oben S. 20 (<strong>Ein</strong>leitung).<br />
72 Das Zusatzstück K.9276 (vgl. Berlejung, UF 28 [1996] S. 1 mit Anm. 1) ist von W. Schramm angeschlossen worden.