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Stenografischer Wortbericht zum 116. Deutschen Ärztetag ...

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tion der Bedürftigkeit und Abhängigkeit nach einem Menschen suchen, der sie aus<br />

ihrer krankheitsbedingten Krise herausführt.<br />

Das heißt also, dass die Logik der Ökonomie sich vor allem dort ausbreiten kann, wo<br />

es um die Optimierung der Prozesse geht, dort, wo es um die Schaffung einer strukturellen<br />

Grundlage geht, durch die eine Arzt-Patient-Beziehung überhaupt erst gestaltet<br />

werden kann. Darum muss es gehen.<br />

Je patientennäher aber der Bereich ist, auf den die Ökonomie Einfluss nimmt, desto<br />

größer wird die Gefahr der Kollision von zwei verschiedenen Logiken, die dann eben<br />

in einen Wettstreit geraten und Dilemmasituationen herbeiführen und Gewissensprobleme<br />

evozieren. Je mehr also das ökonomische Denken auch dort sich breit<br />

macht, wo eigentlich ein anderes Denken naturgemäß gelten müsste, desto mehr<br />

entfremdet sich die Medizin von ihrem eigentlichen Ziel. Daher kann auch nicht von<br />

einer Gleichrangigkeit von ökonomischer und medizinischer Logik gesprochen werden,<br />

denn es kann ja nicht darum gehen, dass Ärzte nur in bestimmten Situationen<br />

das ökonomische Interesse der guten Versorgung unterordnen, sondern der Arzt hat<br />

eine Loyalitätspflicht dem Patienten gegenüber, die er nicht einfach abgeben kann.<br />

Es geht also nicht um einen Ausgleich, ein Ausbalancieren von ökonomischem Vorteil<br />

und Wohl des Patienten, weil das Wohl des Patienten nicht verhandelbar ist.<br />

Die Ökonomie wird also dann <strong>zum</strong> Problem, wenn sie ihre Logik nicht nur auf die<br />

Handlungsbedingungen anwendet, sondern auf den Inhalt der Medizin selbst. Die<br />

Frage ist also: Wie weit ermöglicht die Ökonomie ärztliches Handeln und ab wann<br />

bestimmt die Ökonomie ärztliches Handeln?<br />

Dass die Gefahr des Bestimmens medizinischer Realität durch die Ökonomie tatsächlich<br />

besteht, ist schon im System verankert. Denn Ökonomie meint vom Grundlegenden<br />

her den Ansatz, beim Verfolgen von Zielen die richtigen Mittel anzuwenden<br />

und dabei auf die Ersparnis des Aufwands zu achten. Die Ersparnis von Aufwand,<br />

das ist der Weg zur Effizienz. Was aber ist in der Medizin ein Aufwand, der minimiert<br />

werden muss, ein Aufwand, der eingespart werden muss?<br />

Hier ist der Blick in die Realität sehr ernüchternd, denn er zeigt, dass nicht nur in den<br />

organisatorischen Abläufen der Aufwand minimiert wird, sondern auch und vor allen<br />

Dingen im Arzt-Patient-Kontakt selbst. So zeigen viele empirische Studien, dass die<br />

DRG-Einführung einen Trend zur Reduzierung der Personalkosten mit sich gebracht<br />

und damit unweigerlich eine starke Arbeitsverdichtung für alle Beschäftigten etabliert<br />

hat, eine Arbeitsverdichtung, die auch dadurch begründet ist, dass administrative<br />

Aufgaben in Form der DRG-Kodierung und der Bürokratie der Qualitätssicherung<br />

dem Arzt zusätzlich aufgebürdet werden, ohne dass er an anderer Stelle Entlastung<br />

fände.<br />

Durch diese Verdichtung der Arbeit finden die Gespräche mit den Patienten immer<br />

mehr in den Zeiten statt, in denen die Ärzte ihr Arbeitspensum schon erledigt haben,<br />

und dies eben oft genug außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit. Durch den Sparzwang<br />

und die dadurch evozierte Arbeitsverdichtung entsteht also sukzessive eine<br />

neue Kultur des Umgangs mit dem Patienten. Die Klinikumsleitung hat ein Interesse<br />

daran, dass die Patientenakte administrativ so rasch wie möglich abgeschlossen<br />

wird. Die Ärzte werden dazu angehalten, dem Formalen die oberste Priorität einzuräumen.<br />

Es ist wichtiger, die Dokumentation rechtzeitig abzuschließen, als noch ein<br />

Patientengespräch zu führen, weil man für das Nicht-sofort-Dokumentieren sanktio-<br />

<strong>Stenografischer</strong> <strong>Wortbericht</strong> – <strong>116.</strong> Deutscher <strong>Ärztetag</strong> 2013 – Plenum, 28.05.2013

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