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Stenografischer Wortbericht zum 116. Deutschen Ärztetag ...

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müssen wir realisieren, dass diese innere Übernahme ökonomischer Logiken drei<br />

systemische Gründe hat: Sie liegt an der beschriebenen strukturellen Einzwängung<br />

durch Zeit und Dokumentation; sie liegt aber auch an den Anreizsystemen, die sehr<br />

geschickt die Ärzte steuern sollen und sie anhalten sollen, sich auf die Unternehmensziele<br />

auszurichten. Und sie liegt drittens daran, dass den Ärzten nicht nur die<br />

medizinisch-ärztliche Verantwortung, sondern zugleich auch die ökonomische Verantwortung<br />

für das Haus aufgebürdet wird. Sie werden einfach zu Mitunternehmern<br />

deklariert, und dadurch machen sie die ökonomische Logik zu ihrem persönlichen<br />

Anliegen.<br />

Viele Ärzte handeln deswegen ökonomiekonform, weil ihnen auch suggeriert wird,<br />

dass, wenn die Zahlen nicht stimmen, die Existenz des Klinikums auf Dauer gefährdet<br />

sei. Dadurch werden die Ärzte in gewisser Weise erpressbar. Es ist, wie wenn<br />

man sagen würde, dass nur ein bestimmter wirtschaftlicher Erfolg die Ärzte berechtigt,<br />

ihren eigenen Arbeitsplatz zu behalten. Niemand schreibt vor, dass die Ärzte nur<br />

nach Kostengesichtspunkten Therapien vorschlagen sollen – das wird nie jemand<br />

sagen −; es ist vielmehr der Arzt selbst, der meint, sich diese Vorschrift machen zu<br />

müssen, wenn auch contre coeur, aber er macht sie sich. Die Internalisierung der<br />

Verantwortung für das Überleben des Hauses ist das Eintrittstor für die Aushöhlung<br />

der ärztlich-medizinischen Logik. Diese Aushöhlung findet am Ende ohne Vorgaben,<br />

sondern durch eine innere Umformung der Mentalitäten statt.<br />

Natürlich hängt diese innere Umformung auch mit dem Zustand der Ärzteschaft<br />

selbst zusammen. Die Ärzteschaft hat natürlich selbst auch zu dieser Situation beigetragen,<br />

vor allem durch den oft mangelnden internen Zusammenhalt. Natürlich ist die<br />

Übernahme der ökonomischen Logik für manche Ärzte auch komfortabel. Auch das<br />

darf man nicht vergessen. Aber die meisten Ärzte empfinden die Ökonomisierung als<br />

eine zunehmende Sinnentleerung ihres Tuns, weil sie spüren, dass sie als Mitunternehmer<br />

ihre Arbeitskraft für ein Ziel einsetzen, wofür sie eigentlich nicht angetreten<br />

waren.<br />

Dass der Patient nun im Zeitalter der Fallpauschalen genau kalkuliert werden kann,<br />

hat eine weitere Folge. Denn nun können die Krankenhäuser oder auch die einzelnen<br />

Abteilungen miteinander genau verglichen werden, was ihren Erlös betrifft. Sehr<br />

schnell wird es dann eben ertragreiche Abteilungen und weniger ertragreiche geben,<br />

was zu einem Druck auf die weniger ertragreichen führt, sich den anderen anzupassen,<br />

wenn sie nicht dem Rotstift geopfert werden wollen. Und wenn sie dem Rotstift<br />

geopfert werden, so eben nicht, weil diese Abteilungen unnötig oder weniger wichtig<br />

wären oder schlechte Arbeit geleistet hätten, sondern einzig und allein, weil ihre Patienten<br />

eben wenig ertragreiche Diagnosen haben.<br />

Hier sehen wir, wie ein neues Qualitätsmerkmal auftaucht: Es gilt nicht mehr das als<br />

erhaltenswert, was einen wertvollen Beitrag zur Versorgung der Patienten leistet,<br />

sondern nur noch das, was einen finanziellen Beitrag zur Konsolidierung leistet. Das<br />

ist ein großer Unterschied. Man kann es auch so sagen: Ob eine Behandlung, eine<br />

Abteilung, ein Klinikum gut ist oder nicht, bemisst sich im Zeitalter des Verdrängungswettbewerbs<br />

nicht daran, ob sie sinnvolle Behandlungen vornehmen, sondern<br />

es bemisst sich allein am Geld, das sie einbringen. Heute möchte man ja den Wettbewerb<br />

als Lösung aller sozialen Probleme. Nur Wettbewerb, nur Konkurrenz, das<br />

heißt ja, dass die unrentablen Teile des Unternehmens abgestoßen oder einem anderen<br />

Träger überlassen werden, der kostengünstiger arbeitet. Das bedeutet, dass<br />

<strong>Stenografischer</strong> <strong>Wortbericht</strong> – <strong>116.</strong> Deutscher <strong>Ärztetag</strong> 2013 – Plenum, 28.05.2013

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