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Stenografischer Wortbericht zum 116. Deutschen Ärztetag ...

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Die Ökonomisierung führt zu einer Abwertung dieser nicht messbaren, aber, meine<br />

ich, unabdingbar notwendigen Qualitäten, die nicht zuletzt ärztliche Erfahrung erfordern.<br />

Diese systematische Nichtbeachtung zwischenmenschlicher Qualitäten wirkt<br />

sich demotivierend auf die Ärzte aus, die sich persönlich engagieren. Es darf also<br />

nicht nur um einen funktionalen und zweckrationalen Zugang auf den Patienten gehen,<br />

sondern es muss vor allem um einen Zugang der Anerkennung, der Sorge, der<br />

Anteilnahme gehen, um einen Zugang, durch den der existenziellen Erfahrung der<br />

Hilfsbedürftigkeit angemessen Ausdruck verliehen wird. Daher muss ein Umdenken<br />

stattfinden und die immer fortschreitende Abwertung des fachlichen und menschlichen<br />

Engagements der Ärzte muss gestoppt werden.<br />

Durch die Ökonomisierung entsteht das Bestreben, die ärztlichen Entscheidungen<br />

vom System her steuerbar und damit kalkulierbar zu machen; relevante Entscheidungen<br />

sollen weitgehend aus der konkreten Arzt-Patient-Beziehung ausgelagert<br />

werden. Medizin soll komplett berechenbar gemacht werden, wie in einem industriellen<br />

Produktionsprozess.<br />

Aber so funktioniert Medizin nun einmal nicht. Zentrale Tätigkeit des Arztes ist ja<br />

nicht einfach die Umsetzung eines Algorithmus, sondern seine zentrale Tätigkeit ist<br />

erst einmal der oft komplizierte Weg zur Diagnose, das systematische Abklären verschiedenster<br />

Differenzialdiagnosen, das Sich-Herantasten an einen Befund. Zentrale<br />

Arbeit ist doch das behutsame Abklären, das In-alle-Richtungen-denken-Dürfen, um<br />

ja nichts zu übersehen. Wenn aber nun in den Praxen und Kliniken nur noch Effizienz<br />

zählt und die Umsetzung von Algorithmen erwartet wird, dann wird die schnelle<br />

Entscheidung belohnt und die Ärzte werden oft zu Abkürzungsstrategien angehalten.<br />

So kommt die eigentliche ärztliche Qualität gar nicht mehr zur Geltung. Das Eigentliche<br />

ärztlicher Entscheidungen lässt sich nicht einfach abbilden, es lässt sich nicht<br />

überführen in Algorithmen, weil das Eigentliche sich in den vielen informellen Gesprächen,<br />

in dem Nachdenkprozess, wofür man Zeit haben muss, in dem Einbringen<br />

von Erfahrung, Gespür und Intuition niederschlägt. All das kann und darf nicht abgekürzt<br />

werden.<br />

Wenn aber nun Ärzte nur noch danach bewertet werden, was sie dokumentieren<br />

können, sind sie logischerweise frustriert. Engagierte Ärzte werden in einem ökonomisierten<br />

System systematisch demotiviert, denn je mehr sie in die Patientengeschichte<br />

investieren, desto mehr erscheinen sie als betriebswirtschaftlich unvernünftig<br />

und müssen sogar mit Regressforderungen rechnen. Arzt sein hat mit der Lösung<br />

von Problemen zu tun und nicht nur mit der Anwendung von Flussdiagrammen. Und<br />

dieses Problemlösen ist immer etwas Kreatives. Der Arzt kann also nicht reduziert<br />

werden auf einen Manager, der für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen hat. Ärzte<br />

sind eben nicht einfach Funktionierer und Vollzugsagenten von vorgegebenen Unternehmenszielen,<br />

sondern sie sind gefordert, in der Begegnung mit den Patienten<br />

patientengerechte, das heißt singuläre Entscheidung zu fällen.<br />

Der moderne Arzt, gerade im ambulanten Bereich, soll heute in gewisser Weise <strong>zum</strong><br />

Ingenieur für den Menschen gemacht werden. Dabei wird sein Verstehenwollen, sein<br />

erfahrungsgesättigter Zugang auf den Kranken als ganzem Menschen immer weiter<br />

gering geschätzt. Was den Arzt aber vom Ingenieur am meisten unterscheidet, ist<br />

doch die Tatsache, dass der Arzt ein Vertrauensbündnis mit seinem Patienten eingeht.<br />

Das heißt, dass ein Arzt nicht einfach, wie ein Ingenieur, ausrechnet, was geht<br />

oder was nicht geht, sondern dass der Arzt sich als Professioneller verpflichtet, beim<br />

<strong>Stenografischer</strong> <strong>Wortbericht</strong> – <strong>116.</strong> Deutscher <strong>Ärztetag</strong> 2013 – Plenum, 28.05.2013

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