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Stenografischer Wortbericht zum 116. Deutschen Ärztetag ...

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76<br />

Patienten, die einen hohen Aufwand erfordern, aufgrund ihrer komplexen Krankengeschichte<br />

zu reinen Kostenfaktoren oder Kostentreibern werden, die auf dem Markt<br />

schlechtere Chancen haben.<br />

Daraus wird deutlich, dass eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung<br />

nicht allein dadurch garantiert werden kann, meine ich, dass man einen Verdrängungswettbewerb<br />

verhängt, weil dieser Wettbewerb zwar Rückschlüsse auf die Kliniken<br />

erlaubt, nicht aber Rückschlüsse auf die Realisierung einer bedarfsgerechten<br />

Versorgung. Wenn tatsächlich der Wettbewerb über alles entscheiden soll, dann<br />

muss man bedenken, dass es beim Wettbewerb dann nicht um den Patienten an<br />

sich geht, um jeden Patienten gehen kann, sondern dann gibt es erwünschte Patienten,<br />

das heißt rentable Patienten mit hohem Erlös, und unerwünschte Patienten. Es<br />

gibt Patienten, um die man buhlt, und Patienten, die man meidet. Aber eine Medizin,<br />

die Patienten meidet, kann sich doch nicht mehr Medizin nennen, meine ich.<br />

(Beifall)<br />

Das heißt also, dass durch die Überbetonung der Effizienz und durch die Etablierung<br />

der Wettbewerbsfähigkeit als neues Qualitätsmerkmal einmal mehr aus dem Blick<br />

gerät, was Medizin ist und wofür Medizin da ist.<br />

Die Grenze der ökonomischen Logik haben wir dort ausgemacht, wo diese Strukturlogik<br />

der Ökonomie auch auf die Kerntätigkeit der ärztlichen Betreuung übertragen<br />

wird. Genau diese Übertragung geschieht heute in zunehmendem Maße, aber eben<br />

sehr subtil, sehr verdeckt. Deswegen ist das besonders gefährlich. Die ökonomische<br />

Systemrationalität kommt dadurch <strong>zum</strong> Ausdruck, dass das Gesundheitssystem im<br />

stationären wie im ambulanten Bereich so aufgebaut ist, als ginge es gar nicht um<br />

die ärztliche Erfahrung, die ärztliche Kompetenz, sondern um den Einsatz von klar<br />

bestimmbaren Algorithmen. Gerade im extrem durchregulierten ambulanten Bereich<br />

findet eine Entwertung der ärztlichen Qualifikation statt. Immer mehr etabliert sich<br />

dann ein Verständnis von Medizin, das reduziert wird auf die Einhaltung von Protokollen,<br />

Ablaufplänen und einer Fülle an Dokumentationen und Leistungsnachweisen<br />

– und Kontrollen.<br />

All das, was nicht gemessen werden kann, fällt aus dem Raster der Bewertung heraus.<br />

Und kontrolliert wird nur das Messbare. Man spricht heute von Output-<br />

Orientierung, von Leistungspaketen, man spricht von Produktbildungsprozessen und<br />

Ablaufoptimierungen. Das mag alles wichtig sein, aber all das erinnert eher an einen<br />

Betrieb, wo es gar nicht um Menschen, sondern um die Herstellung von Gegenständen<br />

geht. Die Ökonomisierung fördert also ein rational-distanziertes und schematisiertes<br />

Vorgehen. Dieses Vorgehen hat <strong>zum</strong> Teil seine Berechtigung, aber genuin<br />

ärztliches Handeln geht darin nicht auf. Darüber müssen wir uns noch einmal neu<br />

verständigen.<br />

Das qualifizierte Handeln des Arztes besteht nicht allein in der Anwendung von Regeln<br />

und Handlungsanleitungen, vielmehr geht es immer um eine situationsspezifische<br />

und kontextgebundene und an der Lebenswelt des Patienten orientierte Antwort<br />

auf den Kranken, um eine singuläre Antwort, die erst generiert wird in der Begegnung<br />

mit dem Kranken. Es geht also nicht nur um die Qualität der Prozesse, nicht<br />

nur um das Messbare, sondern letzten Endes doch um die Qualität des Zuhörens,<br />

des In-Beziehung-Tretens, des Sich-einlassen-Könnens, die Qualität der Begegnung<br />

mit dem kranken Menschen als Menschen.<br />

<strong>Stenografischer</strong> <strong>Wortbericht</strong> – <strong>116.</strong> Deutscher <strong>Ärztetag</strong> 2013 – Plenum, 28.05.2013

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