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Deutsche_Grammatik_Elke_Hentschel.pdf

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Genus Verbi<br />

nis vor. Die Funktion speziell des Passivs liegt in der sprachlich markierten<br />

Bereitstellung einer „gekippten“ Perspektive auf das Ereignis, bei der die<br />

vom Geschehen betroffene Person im Zentrum steht. Natürlich lässt sich<br />

eine solche „passivische“ Sichtweise auch ohne explizite sprachliche Mittel<br />

erreichen. Sprachen wie Mandarin können etwa mit ein und derselben Konstruktion<br />

beide Sichtweisen ausdrücken, ohne dass eine davon morphologisch<br />

markiert wird (vgl. Chao 1968: 75). Häufig ist jedoch kontextuell oder<br />

semantisch determiniert, wer „Träger“ und wer „Empfänger“ des Geschehens<br />

ist, da z. B. von unbelebten Dingen im Allgemeinen keine agentische<br />

Handlungen ausgehen können.<br />

Auch Sprachen wie das <strong>Deutsche</strong> können den „Empfänger“, das Ziel der<br />

Handlung, ohne explizite Markierung ins syntaktische Zentrum stellen, indem<br />

es vor das finite Verb gestellt und damit topikalisiert wird: Das mache<br />

ich auf keinen Fall (Passiv: Das wird auf keinen Fall gemacht). Ein solcher Aktivsatz<br />

ist jedoch pragmatisch stark markiert, was im Passiv nicht der Fall ist.<br />

Dort liegt lediglich eine umgekehrte Perspektive auf das Geschehen vor. Erreicht<br />

wird dies durch die Entfernung des Agens aus dem Subjekt. Deshalb<br />

wird im Zusammenhang mit dem Passiv auch von einer „Inaktivierung“ des<br />

Ereignisses gesprochen (z. B. Kazenin 2001: 908).<br />

Passivform<br />

Der funktionale Gegensatz zwischen Genus Verbi im weiteren und Genus<br />

Verbi im engeren Sinne, nämlich Kodierung eines anderen Ereignisses vs.<br />

Darstellung desselben Ereignisses aus einer anderen Perspektive, zeigt sich<br />

auch auf morphologischer Ebene. Im ersten Fall ist es übereinzelsprachlich<br />

gesehen nicht selten so, dass statt eines Affixes ein ganz anderes Verb auftritt<br />

oder die Veränderung durch Substitution innerhalb des Stammes erfolgt,<br />

z. B. dt. sterben/fallen vs. kausatives töten/fällen.<br />

Am häufigsten wird das Passiv synthetisch mit Hilfe eines Affixes markiert.<br />

Über die Herkunft solcher synthetischen Passivmarker ist wenig bekannt,<br />

außer da, wo es sich um ehemalige Reflexivpronomina handelt wie<br />

in slawischen, skandinavischen oder romanischen Sprachen. Haspelmath<br />

(1990: 38f.) vermutet jedoch, dass einige synthetische Passivmarker auf Auxiliare<br />

und damit eine analytische Passivkonstruktion zurückgehen.<br />

Heute sind mit Hilfsverben gebildete analytische Passivkonstruktionen<br />

(wie das deutsche werden- oder sein-Passiv) fast nur in ide. Sprachen vertreten<br />

und damit eher eine Randerscheinung. Normalerweise wird hier das finite<br />

Hilfsverb mit einem Partizip verknüpft. Das häufigste Verb ist dabei<br />

‚sein‘ (Englisch, Deutsch, Russisch), daneben finden sich noch ‚werden‘<br />

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