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Deutsche_Grammatik_Elke_Hentschel.pdf

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Numerus<br />

oder Bereicherung. Dabei kann es jedoch auch bei solchen Substantiven vorkommen,<br />

dass ein Plural gebildet wird, wenn mehrere konkrete Objekte gemeint<br />

sind: die Lieben meines Lebens sind dann konkrete Personen oder<br />

Ereignisse, die Seiden konkrete Stoffe. Diese Umdeutung wird als Rekategorisierung<br />

bezeichnet, da das Wort dabei aus der Kategorie der Abstrakta oder<br />

der Stoffbezeichnungen in die Kategorie der Konkreta oder Appellativa verlagert<br />

wird.<br />

Im Bereich der Personalpronomina kann der Plural über seine eigentliche<br />

Funktion hinaus, die Bedeutung ‚mehr als eins‘ bzw. ‚viele‘ auszudrücken,<br />

auch noch weitere Aufgaben pragmatischer Art übernehmen. So ist die Anrede<br />

einer einzelnen Person mit einem Plural-Pronomen (historisch Ihr, modern<br />

Sie) ein Ausdruck der Höflichkeit; durch die Verwendung des Plurals<br />

wird hier ausgedrückt, dass die angesprochene Person ‚mehr‘ und damit gewichtiger,<br />

wichtiger ist als das sprechende Ich, das im Singular steht. Wird<br />

umgekehrt der Plural wir verwendet, um auf eine einzelne sprechende Person<br />

zu referieren, so kann dies zwei gegensätzliche Funktionen haben. Zum<br />

einen kann es sich hier um den sog. Pluralis maiestatis (auch: Pluralis Majestatis),<br />

den ‚Plural der Majestät‘, handeln, mit dem ein Herrscher sich<br />

selbst bezeichnet (Wir, König von Syldavien, geruhen hiermit …). Zum anderen<br />

kann dabei aber auch ein Pluralis modestiae, ein ‚Plural der Bescheidenheit‘<br />

(auch: Pluralis Modestiae; gelegentlich auch als Pluralis auctoris<br />

‚Plural des Autors‘ bezeichnet) vorliegen, durch dessen Gebrauch vermittelt<br />

werden soll, dass das Autoren-Ich nur einer von vielen ist und keine individuelle<br />

Sonderstellung beansprucht. Dieser Plural war lange Zeit insbesondere<br />

in wissenschaftlichen Texten sehr verbreitet, kann inzwischen aber als<br />

zunehmend veraltet angesehen werden.<br />

Braune, Wilhelm (2004): Gotische <strong>Grammatik</strong>. Mit Lesestücken und Wörterverzeichnis. 20. Aufl.,<br />

neu bearb. von Frank Heidermanns. Tübingen: Niemeyer.<br />

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[EH]<br />

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