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Deutsche_Grammatik_Elke_Hentschel.pdf

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Präsens<br />

hat man den Schluss gezogen, dass das Präsens vier „Bedeutungsvarianten“<br />

habe; es gebe ein „aktuelles Präsens“, ein „Präsens zur Bezeichnung eines<br />

künftigen Geschehens“, ein „Präsens zur Bezeichnung eines vergangenen<br />

Geschehens“ und ein „generelles oder atemporales Präsens“ (so Helbig/Buscha<br />

2007: 130–132). Die Annahme, dass ein sprachlicher Ausdruck gleichzeitig<br />

alle sich wechselseitig ausschließenden Elemente eines Begriffssystems<br />

bezeichnen kann, ist jedoch nicht sinnvoll: Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke<br />

konstituiert sich unter anderem dadurch, dass sie von der Bedeutung<br />

anderer sprachlicher Ausdrücke abgegrenzt wird. Wenn das Präsens tatsächlich<br />

alles „bedeuten“ kann, dann heißt das nichts anderes, als dass es keine<br />

Bedeutung hat.<br />

Die Annahme, dass das Präsens unterschiedslos bei jedem Zeitbezug verwendet<br />

werden könne, ist jedoch unzutreffend. Richtig ist, dass das Präsens<br />

generell Gegenwarts- und Zukunftsbezug haben kann, doch die Verwendung<br />

mit Vergangenheitsbezug unterliegt einer Reihe von Beschränkungen.<br />

So ist ein Dialog wie der folgende ausgeschlossen, obwohl in allen Sätzen der<br />

Zeitbezug durch das Adverbial gestern hergestellt wird (Thieroff 1992: 98).<br />

*Warum bist du denn gestern nicht da, als ich vorbeikomme? Wir wollen<br />

doch gestern abend zusammen ins Kino gehen!<br />

*Gestern sitze ich den ganzen Tag am Schreibtisch und gestern abend bin ich<br />

im Fitnessstudio.<br />

Die Verwendung des Präsens mit Vergangenheitsbezug ist also als eine spezielle<br />

Verwendung dieser Tempusform anzusehen, die gerade nicht der „normalen“<br />

Bedeutung des Präsens entspricht.<br />

Da Sätze wie Renate arbeitet in Osnabrück; Helga sitzt im Wohnzimmer<br />

und raucht oder Es ist dunkel gleichermaßen als Antworten auf Fragen wie<br />

Wo arbeitet Renate jetzt?; Was macht Helga gerade?; Ist es noch hell? wie auch<br />

auf Fragen wie Wo arbeitet Renate nächstes Jahr?; Was macht Helga morgen?; Ist<br />

es morgen hell, wenn du kommst? möglich sind, nicht aber auf Fragen wie Wo<br />

arbeitete Renate letztes Jahr?; Was tat Helga gestern abend?; War es gestern hell,<br />

als du kamst?, ist der Schluss zu ziehen, dass durch das Präsens eine Zeit in<br />

einem Zeitintervall lokalisiert wird, das nicht ganz vor der Sprechzeit liegt<br />

(Thieroff 1992: 99), das heißt das Präsens ist das Tempus der Nicht-Vergangenheit.<br />

Damit sind die Verwendungen des Präsens mit Gegenwartsbezug,<br />

mit Zukunftsbezug und die sog. „zeitlosen“ Verwendungen (wie Zwei mal<br />

zwei ist vier; Die Erde dreht sich um die Sonne) abgedeckt.<br />

Dagegen sind Verwendungen wie in Der 2. Weltkrieg beginnt 1939 (sog.<br />

historisches Präsens) oder Gestern gehe ich über den Ku’damm, da treffe ich<br />

doch den Alex (sog. szenisches Präsens) stilistisch bedingte Sonderverwen-<br />

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