Birgit Hilliger Paradigmenwechsel als Feld strukturellen ... - Budrich
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Wissen <strong>als</strong> Lerngegenstand<br />
Stabilität und Ordnung abzugewinnen, sie <strong>als</strong> geordnet wahrnehmen und<br />
erklären zu können und sie verstehbar zu machen. 138 Menschen wollen Erklärungen<br />
über die sie umgebende Welt haben und Vorhersagen machen können<br />
bzw. Kontrolle oder Steuerung über bestimmte Dinge oder Ereignisse erlangen.<br />
Dafür vergleichen und typisieren sie die Welt.<br />
[...] eine Ordnung, die der gesunde Menschenverstand in der Alltagserfahrung überall<br />
bestätigt zu finden glaubt: Ursache – Wirkung, innen – außen, Tag – Nacht, Leben – Tod,<br />
gut – böse, Körper – Seele, Vergangenheit – Zukunft, Gesundheit – Krankheit. 139<br />
Die beobachtete Welt wird demnach in Gegensatzpaaren wahrgenommen, die<br />
jeweils getrennt voneinander betrachtet werden. Diese Form des Denkens<br />
wird <strong>als</strong> Ursachen- oder Zweckdenken bezeichnet.<br />
Ursachendenken bedeutet Ursachen und Zwecke, Kausales und Finales zu prognostizieren.<br />
So stehen wissenschaftliche Erkenntnisse meist auf der einen Seite, wie sie von den Menschen<br />
erworben und bewertet werden, auf der anderen. 140<br />
Was dann weitergegeben wird, sind meist nicht die Erkenntnisvorgänge,<br />
sondern deren Ergebnisse, Einsichten und entwickelte Theorien, denn einer<br />
systematischen Weitergabe von Wissen stehen die Intuitionen eher im Weg.<br />
Das lineare Ursachendenken spaltet dabei die Welt in Beobachter und Beobachtete/s,<br />
in Subjekte und Objekte, in Lehrende und Lernende. Die Trennung<br />
zwischen Ursache und Wirkung hat zudem die Folge, dass die Welt<br />
einmal aus ihren Zwecken und das andere Mal aus ihren Antrieben oder<br />
Kräften erklärt wird. Die Trennung impliziert unterschiedliche Erkenntnismethoden,<br />
diese operieren unterschiedlich mit Kausalität und Finalität und entwickeln<br />
somit unterschiedliche Selbstverständlichkeiten und Doktrinen. 141<br />
Dies ist die Wurzel des Streites zwischen Rationalismus und Empirismus, Idealismus und<br />
Materialismus, Geistes- und Naturwissenschaften, Zweck- und Kausalerklärungen, Hermeneutik<br />
und Szientisten, der seit zweieinhalb Jahrtausenden unsere ganze Kulturgeschichte<br />
durchzieht. 142<br />
Die Rationalisten sind von der Existenz eines apriorischen Wissens überzeugt.<br />
Sie können die absolute Wahrheit durch logisches Denken erschließen.<br />
Der Empirist vertritt die Lehre, dass alle Erkenntnis nur auf Erfahrungen<br />
beruhen kann.<br />
KANT führt die Trennung der widersprüchlichen Welterklärungen auf die<br />
„faule Vernunft“ der Menschen zurück, die sie dazu verleitet, den Weg des<br />
Ausschließens zu gehen, obwohl, wie er sagt, ein Zusammenführen uns vor<br />
138 Glaserfeld 2003, S. 21.<br />
139 Watzlawick 2003a, S. 159.<br />
140 Ebenda<br />
141 Vgl. ebenda, S. 159ff.<br />
142 Rupert 2003, S. 77.<br />
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